Blau ist nicht Blau: Rauchblau,
Dirty-Blau und andere Varianten bei Tauben
Eine Studie der Universität Texas (Krishnan/Cryberg
2020) wirft neues Licht auf die Genetik der Varianten der blauen
Taubenfärbung. In der Rassetaubenzucht reicht die Farbspanne von
einem zarten Eisblau bei Eistauben und Damaszenern, einem Lichtblau
bei Hamburger Taubenrassen über das von der Felsentaube übernommene
hellgraue Taubenblau bis zu einem dunklen ‚Stockblau‘ bei Wiener
Tümmlern und verwandten Hochfliegern.
Zur Histoire:
Bei den ins Dunkle abweichenden Varianten der
blauen Farbe gibt es solche mit hellen Schnäbeln, die das sonst
vorhandene Weiß an den Ortfedern vermissen lassen. Daneben gibt es
sie mit dunklen Schnäbel, meist nach Standard mit dunklen blauen bis
schwarzen Augenrändern und im Nest und den ersten Wochen nach dem
Absetzen mit dunklen Beinen. Mit der zweiten Variante hatte sich
schon 1926 der Niederländer Bol bei der Analyse der
Brieftaubenfarben befasst und den dominanten Erbgang festgestellt. ‚Vetkleur‘
(kräftige Farbe), ins Englische übernommen als Dirty, mit dem
Erbsymbol V.
Abb. 1: Dirty (Vetkleur)
und Wild-Typ bei Brieftauben. Quelle: Bol 1926
Die Variante mit hellem Schnabel wurde von W.F.
Hollander in den 1930er Jahren untersucht mit dem Ergebnis eines
rezessiven Erbgangs, bei Paarungen mit dem Wild-Typ (Hollander
1938). Als Symbol wurde sy für smoky (rauchig) bestimmt.
Varianten der blauen Farbe in den
Untergruppen:
Züchterisch haben die Varianten in der
Rassetaubenzucht kaum Berührungen. Bei einigen Rassen wünschte man
die Farbe des Wild-Typs mit dunklem Schnabel, bei anderen den hellen
Schnabel, und wieder bei anderen sehr dunkle Tiere mit sehr dunklen
Schnäbeln. Bei Brieftauben, bei denen alle drei Varianten vorkommen,
ist die Färbung ohnehin unerheblich. Zu Diskussionen über den
richtigen Farbton kam es allerdings in einigen Sondervereinen durch
die in Abb. 2 und 3 aufgezeigte große Spannbreite der Färbung,
sowohl bei den als Dirty eingeordneten als auch den als Smoky-Blau
eingeordneten Rassen. Durch die Farbunterschiede innerhalb der
Gruppen gab es auch schon früh die Vermutung, dass es in beiden
Gruppen alternative Gene am selben Genort (Allele) gäbe. Diese
Vermutung findet sich auch in der jüngsten Untersuchung der Frage
aus der Universität Texas, wobei die molekulargenetische Verortung
der V-Varianten allerdings undeutlich bleibt.
Abb. 2: Dirty Blau:
Wiener Hochflieger blau mit Binden (Jens Passeker) und Budaer Blaue
(Fred Wohlgemuth). Quelle: Sell, Pigeon Genetics.
Applied Genetics in the Domestic Pigeon, Achim 2012.
Abb. 3: Smoky-Blau
bei Memeler Hochfliegern (Werner Rahlfs) und Ostpreußischen Werfern
(Hans Falk). Quelle: Sell, Genetik der Taubenfärbungen, Achim 2015.
Abb. 4: Smoky Blau
mit einer bei Brieftauben oft zu findenden Nachdunkelung des
Schnabels bei Alttieren und einer wolkigen Schildfärbung; Stargarder
Zitterhals mit einer in dieser Rasse auch zu findenden sehr dunklen
Gefiederfärbung (Kai Schnellbächer). Quelle: Sell, Genetik der
Taubenfärbungen, Achim 2015.
Mutmaßungen über die genetischen
Verbindungen von Dirty und Smoky:
Systematische Untersuchungen zu genetischen
Verbindungen von Dirty und Smoky und möglichen Allelen fehlen.
Einige gaben sich mit dem Hinweis zufrieden, dass es in beiden
Gruppen alternative Ausprägungen der betreffenden Gene mit etwas
abweichender Auswirkung geben könne, es damit Allele gäbe.
Unterschiede können auch aus dem Einwirken weiterer
(modifizierender) Gene resultieren. Dirty und Smoky können selbst
als Modifikatoren der blauen Färbung aufgefasst werden, die durch
zusätzliche Faktoren weitere farbliche Veränderungen erhalten. Aus
dieser Sicht konnte Dirty auch als zusätzlicher modifizierender
Faktor bei Smoky-Blauen aufgefasst werden oder – anders herum -
Smoky als Modifikator bei Dirty-Blauen. Diese letzte Hypothese von
nebeneinander einwirkenden unabhängigen Faktoren wurde jetzt durch
Forscher aus Texas (Krishnan, Cryberg 2020), zumindest für die von
ihnen getesteten Smoky- und Dirty-Varianten, widerlegt.
Dankenswerterweise sind Taube aus dem für Test herangezogenen Stamm
auch abgebildet, so dass man sehen kann, welche Varianten getestet
wurden.
Abb. 5: Dirty, Smoky
und der Wild-Typ in der Untersuchung der Universität Texas (von
links nach rechts). Quelle: Shreyas Krishnan, Richard L. Cryberg
2020
Zum Test:
Ausgewertet haben die Verfasser DNA-Daten im
eigenen Bestand vorhandener Taubenfamilien, bei denen bei einigen
Individuen Besonderheiten durch Auslassungen in Bereichen
festzustellen waren, die nach den Erkenntnissen aus
wissenschaftlichen Studien, auch bei anderen Arten, für die
Kodierung der Färbung verantwortlich waren. Die phänotypische
Untersuchung wies diese bei zwei Familien eng verwandter Tauben als
Smoky aus. Mit DNA-Analysen konnte der für Smoky bekannte und den
Mendelschen Regeln gehorchende rezessive Erbgang nachverfolgt
werden. Die Individuen der Familien waren vom Erscheinungsbild alle
entweder Dirty oder Smoky.
Der nachfolgende Test wurde von den Autoren der
Studie auf traditionelle Weise durchgeführt.
Hypothese 1:
Vorhanden waren Smoky-Blaue, bei denen man nach
dem Stammbaum annahm, dass die auch reinerbig Dirty waren. Verpaart
mit einem Partner mit dem Wildtyp sollten alle Jungtiere bei einer
unabhängigen Vererbung von Dirty und Smoky aufgrund der Dominanz von
V äußerlich Dirty sein, es sei denn, der Partner sei zufällig
mischerbig für Smoky.
Bei der ersten Kreuzung wären bei unabhängigen
Erbfaktoren alle Jungtiere bei Paarungen mit dem Wild-Typ spalterbig
für Dirty und damit wegen der Dominanz von V dirty-gefärbt. Sie
wären auch spalterbig für Smoky, was wegen der Rezessivität ohne
Auswirkungen bliebe. Wenn der ausgewählte Partner allerdings
zufällig mischerbig für Smoky ist, was ihm wegen der Rezessivität
nicht anzusehen ist, dann wären von den Jungtieren nach Mendel 50%
reinerbig für Smoky und die anderen 50% mischerbig. Nach den im Test
gewonnenen Erfahrungen sollten reinerbige Smoky-Jungtiere
epistatisch V verdecken, so dass aus der Paarung von der Erscheinung
her 50% Dirty und 50% Smoky zu erwarten wären. Tauben des Wild-Typs
sollten nicht fallen.
Herausgekommen ist ganz was anderes. Zufällig
war der Partner tatsächlich mischerbig für Smoky. Von 9 Jungtieren
waren 3 smoky-blau. Die restlichen 6 waren aber keine Dirty, was sie
nach dem epistatischen Modell hätten sein müssen, sie entsprachen
dem Wild-Typ. Die Schlussfolgerung, das epistatische Modell ist zu
verwerfen und Hypothese 2 zu prüfen.
Hypothese 2:
Ein Modell, das mit den Ergebnissen der
Versuchspaarung verträglich ist, ist die Vorstellung, dass Smoky und
Dirty am selben Genort liegen und damit - in genetischer Bezeichnung
- Allele sind. Tauben können dann entweder reinerbig Smoky sein
(sy//sy), reinerbig Dirty (V//V), mischerbig für jeweils einen der
Faktoren (sy//V). Daneben selbstverständlich auch noch mischerbig im
Hinblick auf den Wild-Typ (sy//+ und V//+) und für diesen auch
reinerbig (+//+).
Noch einmal zu den im Test eingesetzten Tieren.
Die reinerbigen Smoky-Täubinnen sind genetisch durch sy//sy
charakterisiert. Ein Partner aus einem nicht verwandten Stamm, der
mischerbig Smoky ist, ist durch sy//+ charakterisiert. Dirty (V)
taucht in keiner der beiden Erbformeln und damit auch nicht in der
Nachzucht auf. Es sind ausschließlich reinerbige Smoky (sy//sy) und
mischerbige Smoky (sy//+) zu erwarten. Aus empirischen
Beobachtungen gewonnene Hypothesen sollten empirisch durch
unabhängige Versuchsreihen bestätigt werden, was bei der
aufgezeigten einfachen Versuchsanordnung jeder Züchter im eigenen
Bestand leicht nachholen können (s.u.).
Modifikationen durch weitere Farbfaktoren:
Die Faktoren Dirty und Smoky bewirken auch in
Verbindung mit anderen Erbfaktoren typische Veränderungen, die
systematisch zusammengestellt wurden (Sell 2006) und nachfolgend für
die Grundfarbe Dominant Rot aufgezeigt werden. Auch im
Zusammenwirken mit dem Eis-Faktor entfalten Dirty (bei Eistauben und
Damaszenern) und Smoky (bei einigen Tümmlerrassen) typische
Wirkungen, die eine Identifizierung von Tieren mit diesen Faktoren
erlauben.
Abb. 5: Dirty
(links) und Smoky (rechts) im Vergleich zu einem Danziger ohne Smoky
bei dominant roter Grundfarbe: Quelle: Genetik der Taubenfärbungen
2015 und ‚Pigeon Genetics 2012.
Versuchsanordnung für eine Prüfung eigener
Varianten:
Tests kann man nach traditioneller Weise durch
Testpaarungen mit allen Farbenschlägen durchführen, die Dirty und
Smoky möglichst in reinerbiger Form durch langjährige Reinzucht
besitzen, so dass andere rezessive Erbfaktoren nicht das Bild
stören.
Unter der Annahme der Gültigkeit der Hypothese
der allelen Beziehung läßt sich eine erste Kreuzung zwischen Dirty
und Smoky im Punnettschen Quadrat wie folgt darstellen:
Allele:
|
Dirty |
Dirty |
Smoky |
Dirty//Smoky |
Dirty//Smoky |
Smoky |
Dirty//Smoky |
Dirty//Smoky |
Alle Jungtiere sind phänotypisch Dirty, aber
mischerbig für Smoky. Bei der Verpaarung der Jungtiere untereinander
wird das Bild abwechslungsreicher.
Aufspaltung der 1. Generation zur Erzeugung der
F2
|
Dirty |
Smoky |
Dirty |
Dirty//Dirty |
Smoky//Dirty |
Smoky |
Dirty//smoky |
Smoky//Smoky |
Es fallen reinerbige Dirty, reinerbige Smoky
und daneben für Dirty und Smoky mischerbige Tiere. Vom Phänotyp sind
es etwa ein Viertel Smoky und drei Viertel Dirty. Drei Viertel, weil
man wegen der Dominanz von Dirty die rein- und mischerbigen Tiere
nicht sicher wird unterscheiden können. Der Wild-Typ wird nicht
fallen. Nach dem in Hypothese 1 dargestellten Modell von zwei
nebeneinander wirkenden Faktoren (das epistatische Modell, wären
neben der Mehrzahl an Dirty und einem Viertel Smoky dagegen auch
3/16 Jungtiere des Wild-Typs zu erwarten. Wenn ein Tier fällt, das
eindeutig dem Wild-Typ (nicht Smoky und nicht Dirty) entspricht,
dann handelt es sich bei den getesteten Varianten um etwas anderes,
die Hypothese wäre für diese Varianten gescheitert.
Im Prinzip kann ein Züchter den Test mit allen
Farbvarianten durchführen, von denen er weiß, dass sie reinerbig
Dirty oder Sooty sind. Spassvögel sollten allerdings nicht Rezessiv
Rot, Gelb oder die Verdünntfarbe Blaufahl oder Verdünntfarben
generell wählen, da diese Färbungen schon ohne Smoky einen hellen
Schnabel besitzen. Scheckungen können für die spätere Klassifikation
der Jungtiere auch Probleme bereiten.
Abb. 6: Eistaube
gehämmerter Täuber x Aschfahle Täubin und aschfahles und schwarzes
Jungtier im Bestand des Verfassers
Der erste Teil eines möglichen Tests wurde
zufällig, und nicht auf die hier behandelte Fragestellung bezogen,
zeitgleich mit dem Report abgeschlossen. Für den Zweck wären auch
leichter zu klassifizierende Färbungen gewählt worden. Ein
gehämmerter Eistaubentäuber mit dem Dirty-Faktor, verpaart an eine
aschfahle Pommersche Schaukappe, mit dem Smoky-Faktor, ergab zwei
eindeutig phänotypisch als Dirty zu identifizierende Jungtiere.
Geschlechtsgebunden, und auch in Punnettschen Quadraten leicht
nachvollziehbar, ein für die schwarze Grundfarbe spalterbiger Täuber
mit Tintenflecken als Zeichen seiner Spalterbigkeit, und eine
schwarze Täubin mit dunklem Schnabel und leicht dunkel angelaufenen
Beinen.
In der F2 sollten bei allelen
Beziehungen unter der jetzt bunter werdenden Schar keine Tiere mit
dem Wild-Typ sein. Es fallen dominant rote und schwarze Jungtiere in
beiden Geschlechtern, ein Teil schwarz, ein Teil aschfahl, aber auch
einige in rotfahlgehämmert und in gehämmert, und bei einigen von
ihnen wird sich auch der Eisfaktor des Großvaters in Erinnerung
bringen.
Resumée
Shreyas Krishnan und Richard L. Cryberg haben
mit ihrer Studie gezeigt, wie sich molekulargenetische
Untersuchungen und klassische genetische Erbversuche mit Nutzen
verbinden lassen. Für die untersuchten Taubenfamilien mit dem Dirty-
und dem Smokyfaktor wurde gezeigt, dass sie sich bei der Vererbung
wie Allele und nicht wie voneinander unabhängige Erbfaktoren
verhalten. Letzteres war wohl allgemein wegen der Unterschiede im
Phänotyp die Vermutung. In der Konsequenz wird man auch die
eingeführte Symbolik ändern müssen. Das von ihnen aufgezeigte
Testverfahren lässt sich leicht in zwei Generationen von genetisch
interessierten Züchter auch für andere Stämme und ggf. andere
Varianten nachvollziehen. Die Ursachen für die bestehenden großen
Unterschiede in der Tiefe der Färbung sowohl bei Smoky als auch bei
Dirty bleiben allerdings weiterhin bestehen. Vielleicht regt diese
Studie auch zu weiterführenden Analysen an.
Literatur:
Bol, C.J.A.C.,
Genetische analyse van kleuren, veerpatronen, tinten, en
afteenkenigen bij postduiven.
Genetica 8: S. 45-154.
Hollander, W.F., Inheritance of Certain “Blue-Black’ Patterns and
“Bleached” Colorations in the Domestics Pigeon. Genetics 23 (1938),
S. 12-27.
Krishnan, Shreyas* und
Richard L. Cryberg, Department of Biology, University of Texas at
Arlington, Arlington, Texas, 76019, Effects of mutations in pigeon
Mc1r implicate an expanded plumage color patterning
regulatory network, 2020,
bioRxiv preprint doi:
https://doi.org/10.1101/792945.
The copyright holder for this preprint (which was not peer-reviewed)
is the author/funder. It is made available under a
CC-BY-NC-ND 4.0 International
license.
Sell, Axel und Jana Sell, Taubenfärbungen,
Colourations in the Domestic Pigeon, Les couleurs des pigeons,
Reutlingen 2006.
Sell, Axel, Genetik der Taubenfärbungen, Achim
2012.
Sell, Axel, Pigeon Genetics.
Applied Genetics in the Domestic Pigeon, Achim 2012.
|