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Haubenformen bei Tauben

Als Grundformen der Haube werden meist die Spitzkappe und die Rund- oder Muschelhaube unterschieden, die sich selbst in Details noch voneinander unterscheiden. Das betrifft die Federfülle, bei der Muschelhaube den seitlichen Abschluss durch eine Rosette oder nicht, die Höhe des Ansatzes im Nacken u.a.

Grundformen von Federhauben: Spitzkappe, Rund- oder Muschelhaube ohne Rosetten und Muschelhaube mit -seitlichen Rosetten, Fotos Layne Gardner, Quelle: Pigeon Genetics.

Von zwölf auf Tafel 8 abgebildeten Tauben von Aldrovandi in der Frankfurter Ausgabe 1610 hatten fünf eine Spitzkappe. Eine weitere, die Taube ‚mit dem Kamm‘ als vermuteter Vorläufer der Perückentaube, hatte eine hochstehende Nackenmähne. Die anderen waren glattköpfig. Tauben mit einer Rundhaube wurden in dem Werk nicht gezeigt.

Taubenabbildungen bei Aldrovandi auf Bildtafel 8 der Frankfurter Ausgabe von 1610

Auf den Bildtafeln des in Farsi abgefassten ‚Book of Pigeon‘ von Musavi (um 1770) über die Tauben aus dem Mogulreich vom 16. – 19. Jahrhundert auf dem indischen Subkontinent gibt es Tauben mit Spitzkappe, aber keine mit Rundhaube.

Meilensteine in der genetischen Analyse

Fast genau 300 Jahre nach der Darstellung von Aldrovandi gab es 1911 eine erste wissenschaftliche genetische Analyse durch den späteren Nobelpreisträger T.H. Morgan. Morgan brachte früh die Frage von Federstrukturen wie Haube und Schwanzfederzahlen in den Kontext der Mendelschen Vererbungsgesetze. Er hatte u.a. eine glattköpfige Pfautaube und eine rundhaubige Schwalbentaube verpaart und daraus 7 Jungtiere mit Haube gezogen. Aus einem solchen Paar gab es in der F2 sowohl glattköpfige als auch behaubte Jungtiere. Nach den Ergebnissen kam er zum Schluss eines dominanten Genes.

 

Erbversuche bei Morgan 1911. Quelle: Sell, Pigeon Genetics 2012, Abb. 279.

Das wurde bald widerlegt. Die glattköpfige Pfautaube von Morgan war möglicherweise mischerbig und die Stichprobe wahrscheinlich zu gering. Eine optisch fehlende Kappe kann auch durch eine schwache Ausprägung erklärt werden, schließlich auch durch bei vielen Merkmalen kaum erforschte epistatische Effekte mit ‚Enablern‘, ‚Verstärkern‘ oder blockierenden Faktoren.

Christie und Wriedt dokumentierten 1923 durch umfangreiche Paarungen die rezessive Vererbung der Rundhaube. Von 80 Jungtieren der F1 von rundhaubigen Schildmövchen (Petenten) mit Dänischen glattköpfigen Tümmlern waren alle glattköpfig. Von den 64 Jungtieren der F2 waren 44 glattköpfig, 17 rundhaubig und 3 spitzkappig. Auch unter den 66 Rückpaarungen an Petenten gab es mit 4 Spitzkappigen eine bei den Ausgangstieren nicht vorhandene Kappenform. Damit rückten Unterschiede in der Federstruktur in den Fokus.

Morgan hatte sich für die Unterschiede von Spitzkappe und Muschelhaube nicht interessiert, obwohl er mit beiden Formen experimentiert hatte. Soederberg stellte 1927 für spitzkappige Gimpeltauben bei Paarungen mit Glattköpfigen – wie Christie und Wriedt für die Rundhaube der Petenten – die rezessive Vererbung fest. Er ging noch einen Schritt weiter und verpaarte eine rundhaubige Schwalbentaube mit einem Spitzkappigen und erhielt daraus 6 rundhaubige Jungtiere, was er als Dominanz der Rundhaube interpretierte. Christie und Wriedt hatten dagegen als Ursache der Unterschiede Modifikatoren vermutet, sind zu der angekündigten weiteren Analyse aber nicht mehr gekommen.

Noch einmal etwa einhundert Jahre später wurde im Genom der Haustaube ein Gen zur Ausbildung der Haube durch eine Forschergruppe der University Utah identifiziert (M.D. Shapiro u.a. 2013). Mit den Untersuchungen der molekulargenetischen Grundlagen der Haustaube wurde für Federstrukturen das Fenster zu einem anderen Untersuchungsdesign als der optischen Auswertung von Phänotypen und Kreuzungsergebnissen beschritten. Überraschend für Taubenzüchter an den Ergebnissen ist nicht so sehr, dass sie einen Bereich im Genom identifiziert haben, den alle getesteten Tiere mit einem befiederten Kopf gemeinsam haben, sondern dass sie keinen Anzeichen für Allele des identifizierten Genes und auch keine weiteren Bereiche finden konnten, die Unterschiede bei Tieren mit Spitzkappe und Tieren mit Muschelhaube aufwiesen und zur Erklärung beitragen könnten. In den Zuchten vererben sowohl Spitzkappen und Muschelhauben jeweils rein und zuverlässig und weisen in der Federstruktur deutliche Unterschiede zueinander auf, so dass es verwunderlich erscheint, wenn sich das in den DNS nicht widerspiegeln sollte.

Modifikatoren oder multiple Allele?

Spitzkappige nach der Verpaarung von Rundhaubigen mit Glattköpfigen

Eigene Erfahrungen mit der Verpaarung reinerbiger rundhaubiger Tauben mit reinerbigen glattköpfigen Tauben zeigten, dass spitzkappige Nachkommen in der F2 und in der R1 (erste Rückpaarung) nicht extrem selten sind.

Wenn der verantwortliche Modifikator im Erbgut der Rundhaube verankert ist, kann er nach Kreuzungen in nachfolgenden Generationen aufgedeckt werden. Bei Lage auf demselben Chromosom und geringer Distanz sollte es ein sehr seltenes Ereignis sein, hier nach den Befunden nicht so selten. Die in der F2 und auch nach Rückpaarungen an die rundhaubige Ausgangsrasse gezogenen Tiere mit Muschelhaube und Spitzkappe sind meist in der Ausprägung federarmer als die Ausgangstiere, die Struktur oft im Nacken tiefer angesetzt und ungeordneter. Auch mähnenartige Erscheinungen treten auf als Zeichen dafür, dass für die korrekte Ausprägung mehr Faktoren maßgeblich sind als die hier in den Fokus gestellten potentiell zwei.  Dafür, dass Modifikatoren (Gene an unterschiedlichen Genorten) verantwortlich sind, und kein Allele (alternative Gene am selben Genort), sprechen auch die bisherigen molekulargenetische Analysen. Wie gezeigt fanden Shapiro u.a. in ihrer Untersuchung zwar Belege dafür, dass das EphB-Gen (Ephrin receptor B2) bei Reinerbigkeit für alle unterschiedlichen Haubenformen verantwortlich ist, sie fanden bislang aber keine Hinweise auf Allele und auch nicht auf andere Genbereiche, die zwischen Spitz- und Muschelkappe differenzieren könnten.

Rundhaubige nach der Verpaarung von Spitzkappigen mit Glattköpfigen

Auch den umgekehrten Fall gibt es, dass nach Kreuzungen von Glattköpfigen mit Spitzkappigen in späteren Generationen Rundhaubige fallen. Bei Gültigkeit der Modellvoraussetzungen im Fall der Spitzkappigen aus Kreuzungen von Muschelhaubigen muss die Anlage latent bei den glattköpfigen Partnern vorhanden gewesen sein, was bei einigen der in den Büchern ‚Pigeons Genetics‘ und ‚Taubenzucht‘ aufgezeigten Fällen sehr offensichtlich ist.

Kreuzung von spitzkappigem Gimpeltäuber und blauer Brieftaube mit Jungtieren der F1 und, darunter abgebildet, 6 ausgewählte Jungtiere der F2. Quellen: Sell, Pigeon Genetics und Sell, Taubenzucht.

In einigen Praxisfällen ist das eine erste und plausible Vermutung. Mit traditionellen Tests sind diese Vermutungen bei vertretbarem Aufwand meist nicht aufzuschlüsseln. Es ist eher eine Aufgabe für zielgerichtete molekulargenetische Analysen.

An anderer Stelle ist ausführlich dokumentiert worden, wie aus einem spitzkappigen Gimpeltäuber und einer glattköpfigen Hochfliegertaube bereits in der ersten Generation zur Hälft glatt- und zur Hälfte spitzkappige Tiere gefallen waren und aus einer umfangreichen F2 eines spitzkappigen Täubers der F1 mit einer glattköpfigen Täubin der F1 neben Spitzkappigen und Glattköpfigen einige Jungtiere mit deutlicher Muschelhaube (Sell, 2012).

Spitzkappige und rundhaubiges Jungtier der F2 aus der Verpaarung eines spitzkappigen Gimpeltäubers mit einer glattköpfigen Hochfliegertäubin: Quelle: Sell, Pigeon Genetics 2012 und Sell, Taubenzucht 2019

Paarungen von Spitzkappigen mit Rundhaubigen

Für die genetische Klassifizierung von Phänotypen wichtig die Beobachtung, dass nicht alle Kreuzungen von Spitzkappigen und Rundhaubigen, wie in der Untersuchung von Soederberg, rundhaubige F1 ergeben. Geschwister können nebeneinander rundhaubig und spitzkappig sein. Hier aufgezeigt aus der Kreuzung eines spitzkappigen goldenen Täubers, der aus Goldschwarzflügeln gefallen ist, mit einer schwarzen muschelhaubigen Täubin.

Muschelhaubige und spitzkappige Nachzucht aus der Verpaarung eines reinerbigen Spitzkappigen mit einer reinerbigen genetisch nicht verwandten Muschelhaubigen. Quelle: Sell, Taubenzucht, S. 24.

Über den Tellerrand hinaus

Bei der Analyse komplexer Erscheinungen ist es nützlich, bisherige Untersuchungen und Testpaarungen zu sondieren und Fakten über bereits vorgenommene Experimente zur Kenntnis zu nehmen. Dann lassen sich Übereinstimmungen und Widersprüche zu bekannten Vererbungsmechanismen feststellen. Nicht in das eigene Denkschema passende Ergebnisse sollten nicht ausgeblendet werden. Durch eigene Versuchsanordnungen kann man Wissenslücken füllen, zweifelhaft erscheinende Ergebnisse erneut prüfen und ggf. eigene Hypothesen finden, die eine bessere Erklärung der Fakten liefern. Es ist bei komplexen Merkmalen eine durch Fakten gestützte Aufstellung von Hypothesen, die durch neue Informationen verworfen, aber auch verbessert werden können. Sinnvoll ist es, diese Hypothesen an unabhängigen Daten erneut zu prüfen und andere in unabhängige Prüfungen einzubinden. Hypothesenfindung und Hypothesenprüfung werden dadurch getrennt und die Gefahr verringert, auf Scheinkorrelationen hereinzufallen.

Fußangeln gibt es bei empirischen Untersuchungen genug. Bei der ersten Untersuchung durch Morgan 1911 war es wahrscheinlich eine Fehlklassifikation der Ausgangstiere (mischerbig und nicht reinerbig) verbunden mit einer zu geringen Stichprobengröße. Christie (1877-1927) und Wriedt (1883-1929) wurden vor den geplanten weiterführenden Untersuchungen durch den Tod abberufen.

Untersuchungen epistatischer Effekte bei Tauben standen zu der Zeit auch erst in den Anfängen. Bei Gimpeltauben hat man nicht nur früh die Vererbung der Kappe studiert, sondern auch den Bronzefaktor. Erste Tests fanden zwischen Kupfergimpeln und einfarbig schwarzen und roten Tauben statt. Daraus fielen überwiegend Schwarze, was zur Annahme eines rezessiven Erbganges des Gimpelbronze führte. Falsch, wie später erkannt wurde. Schwarze und die meisten Roten haben genetisch den Farbausbreitungsfaktor ‚Spread‘, und der unterdrückt, wie rezessives Rot, weitgehend Gimpelbronze. Bei der Paarung mit Blauen und Blaugehämmerten zeigt sich Bronze in der ersten Generation, wie beiläufig auf den hier gezeigten Fotos über die Kreuzung von Spitzkappig und Glattköpfig zu sehen ist. Auch der Gimpeltaugenphänotyp (gimpel-pattern) mit bronze oder goldenem Körpergrundgefieder und andersfarbigen Decken und Schwanz tritt in der ersten Generation in der Regel ein. Bei den frühen Tests wirkte Spread ‚Verhinderer‘.

Was hat das mit der Kappe zu tun? Es geht nicht um das jeweilige Merkmal, sondern um die Flexibilität des Denkens. Wenn beim Gimpelbronze und bei vielen weiteren komplexen Merkmalen verhindernde oder fördernde Faktoren wirken, dann wäre es verwunderlich, wenn solche Erbmechanismen bei einem gerade untersuchten Merkmal ausgeblendet werden könnten. Nicht aufgeklärte Widersprüche sind immer auch eine Chance, tiefer in die Materie einzudringen. Und dazu braucht man in vielen Fällen auch ein Grundverständnis für epistatische Effekte im weitesten Sinn und wird sich nicht auf einem Grundverständnis der drei Mendelschen Gesetze ausruhen können.

Literatur:

Aldrovandi, Ylyssis, Ornithologiae, Francofvrti M.DC.X (1610).

Christie, W., und Chr. Wriedt, Die Vererbung von Zeichnungen, Farben und anderen Charakteren bei Tauben. Zeitschrift für induktive Abstammungs- und Vererbungslehre 32 (1923), S. 233-298.

Morgan, T.H., Inheritance on crosses between different races of pigeons, Biological Bulletin Vol. 21 (1911), S. 215-221.

Musavi, Seyyed Mohammad, Book of Pigeons (auf Persisch/Farsi), um 1770.

Sell, Axel, Pigeon Genetics, Applied Genetics in the Domestic Pigeon, Achim 2012.

Sell, Axel, Taubenzucht. Möglichkeiten und Grenzen züchterischer Gestaltung, Achim 2019.

Shapiro, M. u.a., Genomic Diversity and Evolution of the Head Crest in the Rock Pigeon, Science DOI: 10.1126/science.1230422, Published Online January 31 2013.

Soederberg, Erik, Ein Beitrag zur Genetik der Spitzkappe und der Rundkappe bei Haustauben, Hereditas Vol. 8 (1927), Issue 3, S. 363-366.