Überdeckende und kombinatorische Effekte bei Farbgenmutationen der
Haustaube
Epistatic and Combinatorial Effects of Pigmentary Gene Mutations in
the Domestic Pigeon (see below)
Unter dem Titel "Epistatic and Combinatorial Effects of Pigmentary
Gene Mutations in the Domestic Pigeon" stellte eine Forschungsgruppe
der Fakultät für Biologie der Universität Utah im Februar 2014 neue
Erkenntnisse des Projekts zur Entschlüsselung des Genoms der
Haustaube vor (Domyan et al., Currrent Biology (2014), http:/dx.doi.org/10.1016/j.cub.
2014.01.020).
Das Denkschema der klassischen Genetik für die Färbungen der
Haustaube
In dieser Studie wird durch molekulargenetische Studien z.T. das
nachgezeichnet, was die klassische Genetik durch Experimente im
letzten Jahrhundert über das Zusammenwirken von Mutationen an
unterschiedlichen Genorten herausgefunden hat. In der klassischen
Genetik wurden die unterschiedlichen Färbungen der Haustaube durch
Beobachtungen und Versuchspaarungen in eine systematische Ordnung
gebracht Die große Leistung der klassischen Genetik bestand für die
Haustaube darin, ein Denkschema zu entwickeln, das geeignet war, die
unterschiedlichen Taubenfärbungen mit unterschiedlichen
Kombinationen von Erbfaktoren zu verknüpfen. Diese Erbfaktoren sind
zum Teil Alle, gehören überwiegend aber anderen Faktorgruppen an,
die analytisch als unterschiedliche Betrachtungsebenen separiert
werden. Dieser Entwurf einer auch didaktisch eingängigen Ordnung
erstreckte sich über ein ganzes Jahrhundert und war mit Irrungen und
Wirrungen verbunden, die W.F. Hollander in seiner Broschüre 'Origins
and Excursions in Pigeon Genetics' aus dem Jahr 1983 nachgezeichnet
hat.

Fig. 1: Titelblatt der Broschüre von W.F.Hollander, Origins and
Excursions in Pigeon Genetics, Burrton 1983
Eine zentrale Rolle in diesem Denkschema spielen geschlechtsgebunden
vererbte Gene, die für die unterschiedlichen Grundfarben
verantwortlich sind. Darauf aufbauend werden (daneben und
zusätzlich, nicht anstelle!) eine Fülle von modifizierenden Genen
betrachtet. In der Kombination bedingen sie multiplikativ die schier
unüberschaubare Anzahl von Farbenschlägen. Durch das inzwischen
angesammelte Wissen ist man in der Lage, mehrere Hunderte von
Farbenschlägen, darunter so komplexe wie die Almondfärbung, mit
einer Erbformel zu belegen. Verbunden ist der Entdeckungsprozeß
untrennbar mit dem Namen W.F. Hollander, der durch seine auch an
die Taubenliebhaber gerichteten Beiträge auch diese mit großem
Nutzen für den Erkenntnisgewinn mit eingebunden hat.
Aus der Kombination von drei Grundfarben (schwarz, braun und
dominant rot) ergeben sich bei nur vier unterschiedenen
Zeichnungsmustern (man könnte die Zeichnungen noch tiefer
unterteilen) bereits 3 x 4 = 12 Farbenschläge. Fügt man nur den
Erbfaktor 'Verdünnung' (englisch dilution) dazu, dann erhält man
einschließlich der nicht verdünntfarbenen Schläge bereits 3 x 4 x 2
= 24 Farbenschläge. Wird auch noch der schwächere Verdünnungsfaktor
'Pale' als Allel von Dilution dazu genommen, dann sind es bereits 3
x 4 x 3 = 36. Es läßt sich leicht ausmalen, wie sich die
Farbenschlagpalette durch das Hinzufügen weiterer Ebenen
multiplikativ vergrößert. In dem neuesten Buch 'Pigeon Genetics'
werden bereits mehr als 70 Erbfaktoren behandelt, die Färbungen und
Scheckungen des Gefieders betreffen.
Kombinatorische und epistatische Effekte in der Studie der
Forschungsgruppe
Explizit angesprochen werden in der aktuellen Studie der
Forschungsgruppe die Grundfarben und die Verdünnung durch 'Dilution'
sowie 'Rezessives Rot'. Rezessiv Rot ist nicht geschlechtsgebunden
und überdeckt bei Reinerbigkeit alle bisher betrachteten
Farbenschläge durch eine braunrote Färbung. Er wirkt damit 'epistatisch',
ein Begriff, der im Titel der Studie auftaucht. Er kann als weitere
Betrachtungsebenen leicht in das kombinatorische Denkmuster
integriert werden.
Bei drei Grundfarben und einem Verdünnungsfaktor ergeben sich bei
der Beschränkung auf diese Ebenen 3 x 2 = 6 Farbenschläge, zu denen
Rezessiv Rot und, in der Verdünnung, Rezessiv Gelb hinzutritt. Diese
acht Farbenschläge werden in Abb. 2 (Fig. 1 der Studie) gezeigt. Die
Allele sind in roter eckiger Klammer zusammengefaßt, durch das
Symbol
>
wird die Dominanzbeziehung angezeigt.

Fig. 2: Farbenschläge aus der Kombination der Grundfarben, Rezessiv
Rot und der Verdünnung (Quelle: Domyan et al. 2014)
Die Autoren der jüngsten Studie der Universität Utah hatten bereits
in früheren Untersuchungen festgestellt, dass es in der Entwicklung
der Taubenfärbungen bei den Grundfarben nur eine Mutation vom
schwarzen Pigment des Wild-Typs zum dominanten Rot gegeben hat.
Diese Mutation hat sich nach Überzeugung der Autoren auf die
unterschiedlichen Rassen durch Kreuzungen übertragen. Das wird in
dieser Studie bekräftigt.
Für Braun (b) werden Hinweise gefunden, dass es, anders als bei
Dominant Rot, mehrfach eine Mutation gegeben hat (S. 2). Bei einigen
vom Erscheinungsbild her braunen Tauben konnte molekulargenetisch
aber kein bekanntes b-Gen identifiziert werden. Die Autoren vermuten
daher, dass andere Gene ebenfalls eine braune Gefiederfärbung
bewirken können. Taubenzüchter wissen, wie schwer es fällt, anhand
der Färbung auf die genetischen Grundlagen zu schließen. Braune
Tauben sind unterschiedlich intensiv braun gefärbt, was z.T. an
bekannten modifizierenden Faktoren liegt. Es gibt aber auch ähnliche
Bronzetöne, von denen man aus klassischen Experimenten weiß, dass es
sich genetisch um Tauben mit schwarzem Pigment handelt.
Bronzefaktoren wiederum sind inzwischen zahlreich identifiziert und
teilweise im Hinblick auf das Erbverhalten untersucht worden. Aber
auch hier ist in vielen Fällen nicht feststellbar, ob leicht
unterschiedliche Färbungen durch unterschiedliche Gene oder durch
die Färbung einwirkende modifizierende Faktoren hervorgerufen
werden. Auch hier können weitere molekulargenetische Untersuchungen
mehr Klarheit verschaffen. Für Rezessiv Rot kommen die Autoren zu
einem ähnlichen Ergebnis wie für Braun. Wenn sie auch keine
phänotypischen Unterschiede bei den untersuchten Tauben finden
konnten, so deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Mutation zu
Rezessiv Rot mehrfach stattgefunden hat (S. 4).
Prinzipien der Kombinatorik und Epistatik in klassischen
Darstellungen
Das Grundprinzip der Kombinatorik durchzieht seit langem die
didaktischen Darstellungen zur Taubengenetik und bildet zusammen mit
dem Muster der Punnettschen Quadrate die Vorlage zum Titelblatt der
ersten Schrift des Verfassers zur Taubengenetik aus dem Jahr 1980
(Fig. 3). Der auf dem Deckblatt der Schrift des Autors von 1980
berücksichtigte Farbausbreitungsfaktor Spread (S) wirkt ähnlich
epistatisch wie Rezessiv Rot. Er überdeckt zwar nicht die
Grundfarben, aber die Zeichnungsmuster.

Fig. 3: Titelblatt der Broschüre 'Axel Sell, Vererbung bei Tauben,
Traventhal 1980'
Die Nützlichkeit der kombinatorischen Denkmuster und
Darstellungsweise läßt sich gut erkennen. C ist das Erbsymbol für 'checker',
gehämmert. Die Informationen für das Weibchen befinden sich in der
jeweiligen Kopfzeile. Auch bei halbverdeckter Darstellung der
nachgelagerten Ebenen läßt sich die Ausgangskreuzung - offenbar vom
Erscheinungsbild ein blauer Täuber und eine aschfahle Täubin -
erkennen. Daraus kann man begründete Vermutungen darüber anstellen,
wie die Jungtiere aussehen werden.
Quellen:
Domyan et al., Epistatic and Combinatorial Effects of Pigmentary
Gene Mutations in the Domestic Pigeon, Currrent Biology (2014),
http:/dx.doi.org/10.1016/j.cub. 2014.01.020
Hollander, W.F., Origins and Excursions in Pigeon Genetics, Burrton
1983
Sell, Axel, Pigeon Genetics. Applied Genetics in the Domestic
Pigeon, Achim 2012.
Sell, Axel, Vererbung bei Tauben, Traventhal 1980
Epistatic and Combinatorial Effects of Pigmentary Gene Mutations in
the Domestic Pigeon
In a recent report the Research Group from the Department of
Biology, University of Utah, presented some results in respect to
the molecular basis of phenotypic diversity of the plumage of the
domestic pigeon. The authors of the study consider pigmentation
genetics a "powerful model for identifying mutations underlying
diversity and for determining how additional complexity emerges from
interactions among loci". The outcome of these studies in the long
run will be very helpful also for the pigeon fanciers since these
investigations will allow to differentiate between phenotypes with
similar appearance but different genetic code. In the recent
investigation the combinatorial and epistatic effects of gene
mutations in the domestic pigeon are stressed and their importance
for the creations of a substantial phenotypic diversity. They
approved the finding of the classical genetic studies that got their
conclusions from practical observations, systematical tests and last
not least by the creation of a pattern of thought that made it
possible to get an understanding for the relationship of certain
traits and combinations of traits and the phenotype. This process
mainly took place over several decades in the last century and is
related to the name W. F. Hollander who also documented the trials
and errors in his booklet 'Origins and Excursions in Pigeon
Genetics'.
In the current study the three 'base' colors wild type blue/black,
ash-red, and brown were investigated. In addition the autosomal
recessive red mutation was considered and finally recessive red that
has an epistatic effect in regard to the color locus. Finally the
modifier dilution that lighten plumage color was included. Dilution
is inherited sex-linked like the color genes. From their analysis
the authors concluded that dominant red only once evolved and spread
species-wide through selective breeding whereas brown color has
evolved multiple times in pigeons. Several brown pigeons did not
have any of the identified b alleles (p. 2). Also recessive red
seems to have evolved more than once in pigeons (p. 4). Three base
colors and the two alleles dilute and non-dilute result in 6
phenotypes. Recessive red acts epistatic in regard to color, thus
with non dilute and dilute recessive red two phenotypes are added,
altogether 8 phenotypes shown in Figure 1 of the report, here Fig.
2.
Discussion of combinatorial and epistatic effects are the main means
to give an easy introduction into the handling of the otherwise
inextricably diversity of coloration. The base idea of handling the
different groups of alleles in isolation, starting with the base
colors, and then combining the effects was visualized at the cover
of the author's first greater pigeon genetic text in a brochure
published in 1980 (Fig. 3). The educated fancier may realize that in
the example a blue bar cock was mated to a Spread Ash hen if we take
the head line as the genetic information for the dam and C the
symbol for checks, S for Spread. It should also be possible to
predict the possible outcome from this mating.
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