Die Gestalt der Taube: Die Anatomie der Haustauben, Taubenstandards und
Musterbilder
Pigeon Anatomy, standards, and standard drawings (see below)
In der Rassetaubenzucht sind Standards oder gleichbedeutend
Musterbeschreibung erforderlich, um den Züchtern und den an Rassen
Interessierten einen Eindruck über das Erscheinungsbild der
unterschiedlichen Taubenrassen zu vermitteln. Für den Züchter zeigt die
Musterbeschreibung darüber hinaus das Zuchtziel auf, nach dem er auf der
Grundlage seiner Kenntnisse über die Vererbung der Merkmale seine
Zuchttiere auswählen und die Zuchtpaare zusammenstellen kann. Notwendig
sind Musterbeschreibungen auch für die Bewertung der Tiere auf den
Ausstellungen, auf denen die Tiere herausgestellt werden, die der
Musterbeschreibung am besten entsprechen. Beschreibungen sind oft nicht
leicht zu verstehen, so dass die Sondervereine vieler Rassen zusätzliche
Interpretationshilfen erstellen. Unterstützt werden die Aussagen in vielen
Musterbeschreibungen auch durch künstlerische Zeichnungen. Darauf, dass
dieses gegenüber der Möglichkeit der Nutzung von Fotos ausgezeichneter
Rassevertreter nicht nur Vorteile hat, wurde auf dieser Homepage und auch
im Buch "Taubenrassen" des Verfassers mehrfach hingewiesen.
Das Dilemma, in dem sich auch der Künstler befindet, wird schon bei
Schachtzabel in der 1. Auflage 1910 deutlich. So sollen die Zeichnungen
nach dem Leben aufgenommen werden, dann sollen sie aber auch "Modelle,
Ideale zeigen, wie sie dem wirklichen Züchter und Liebhaber vorschweben;
sie sollen ihm Richtschnur seines Wirkens geben, damit er nicht planlos
seine Zeit verschwendet".
Bei Schachtzabel haben etliche Musterbeschreibungen im Gegensatz zu seiner
im Vorwort geäußerten Intention dazu geführt, dass z.B. die Züchter bei
der Porzellantaube über ein Jahrhundert ihre Zeit damit 'verschwendet'
haben, den gezeichneten Idealen, die dem genetisch Möglichen
widersprachen, nachzustreben. Als 'Modell gezeigt' wurden weißgeschuppte
Eistauben mit Finkenzeichnung und einem kleinen weißen Punkt auf jeder
Schwanzfeder. Aus Bälgen aus der Zeit ist bekannt, dass es diese Tauben um
1900 nicht gegeben hat und aus Quellen danach ist zu entnehmen, dass die
auch später nie existierten. In der Realität sind weiße Spiegel der
Orientalischen Mövchen in Schwingen und Schwanz möglich, was aber nicht
der Finkenzeichnung auf der Zeichnung aus dem Jahr 1910 entspricht.
Quelle: A. Sell, Taubenrassen. Entstehung, Herkunft, Verwandtschaften,
Achim 2009, S. 180.
Von der Wirklichkeit deutlich abweichende Musterbeschreibungen und
Standardzeichnungen sind ein nicht zu unterschätzendes Problem für die
einheitliche Bewertung von Tieren auf der Ausstellung. Die
Rassegeflügelzucht und das Ausstellungswesen sind soziale Angelegenheiten,
bei denen es auch um ein freundschaftliches Miteinander im Hobby geht.
Daher sind auch Preisrichter einem sozialen Druck unterworfen, wenn ihnen
Tiere präsentiert werden, die nicht dem geschriebenen Standard
entsprechen. Und der Spagat, den die Preisrichter vollbringen müssen, wird
um so größer, je weniger die offizielle Musterbeschreibung zu den
gezeigten Tieren passt und umgekehrt. In der Praxis werden offenkundige
Abweichungen der gezeigten Tiere von geforderten Rassemerkmalen in einigen
Rassen und Farbenschlägen über Jahrzehnte, bei der Porzellantaube über ein
Jahrhundert übersehen. Überspitzt formuliert ist ggf. ein für den
unvoreingenommenen Beobachter schwarzes Tier 'dem Zuchtstand entsprechend'
auch als rotes Tier ausgestellt noch sg (sehr gut). Das fördert das
soziale Miteinander im Einzelfall, das Fingerspitzengefühl bei der
Bewertung wird in Schauberichten gelobt, für das gesamte Ausstellungswesen
wirft das allerdings die Frage der Einheitlichkeit und Objektivität der
Bewertung auf. Und das insbesondere dann, wenn in anderen Fällen strikt
nach den Vorgaben der Musterbeschreibung geurteilt wird. Statt vom
Preisrichter permanent einen Spagat zu fordern, sollte man in solchen
Fällen besser die jeweiligen Musterbeschreibungen einer kritischen
Würdigung unterziehen. Das wäre für viele Preisrichter sicher eine
willkommene Verbesserung.
Über Farbenschläge und Zeichnungen des Gefieders und damit was "drüber"
ist, ist man relativ gut informiert, über die Gestalt der Taube und den
zugrundeliegenden Skelettaufbau dagegen wesentlich schlechter. Und das,
obwohl sich Forderungen zur Größe, zur Haltung, zu bestimmten Proportionen
u.a. auch in den Musterbeschreibungen finden.
Das Buch "Die Gestalt der Taube. The Artist's Guide to Pigeon", ISBN
978-3-00-039322-8, von Dieter M. Fliedner bietet erstmalig in dieser
Breite für alle Gruppen der Rassetauben die Möglichkeit, auch das zu
betrachten, was 'drunter', unter dem Federkleid, zu finden ist.
Jetzt hat Dieter M. Fliedner seine Untersuchungen speziell für Huhntauben
am Beispiel der deutschen Modeneser) und für Kropftauben am Beispiel der
Englischen Kröpfer und der Englischen Zwergkröpfer um einen Vergleich von
Standards, Standardbildern und seinen Präparaten erweitert.
http://www.pigeon-anatomy.com/drunter-und-drüber/rassegruppe-huhntauben/
http://www.pigeon-anatomy.com/drunter-und-drüber/rassegruppe-kropftauben/
Auch hier zeigen sich die für Färbungen bereits aufgezeigten Widersprüche
und Ungereimtheiten. Im Ergebnis seiner Untersuchungen plädiert der Autor
für korrekte, an der Realität orientierte Standards und eine Abwendung von
grenzenlos idealisierten Bildern. Das könnte nicht nur für Preisrichter
eine willkommene Verbesserung darstellen.
Pigeon Anatomy,
standards, and standard drawings
Standards are needed to give a short orientation for
those interested in pigeons breeds and to show the fanciers the
properties of a breed that should be derived or preserved by properly
selection of the breeding stock. Standards are also needed at shows since
the pigeons are judged against the standard to find out the winning birds.
Often the written standard is complemented by standard drawings. That
sometimes is a help, however, in some cases wishful thinking leads to
standard drawings that cannot be reached due to genetic reasons. Such
drawings lead the fanciers in a wrong direction and judges at the shows
face peer-group pressure to grade pigeons high that do not correspond to
the written standard and the drawing as was shown by the author in his
book 'Taubenrassen' for some examples in the famous book from Schachtzabel
1910. Thus e.g. a porcelain pigeon was propagated, white laced with a
finch marking and a small white spot at every tail feather. Unfortunately
such a pigeon never existed in reality. Finally as a substitute for of the
historical vision ice pigeons with the Oriental frill stencil marking were
created.
For colorations the problems of standard drawings are
now well known. For the skeleton such a discussion now presented by Dieter
M. Fliedner is a novelty. Dieter M. Fliedner is a well known artist and
the author of 'The Artist's Guide to Pigeon Anatomy' (bi-lingual in German
and English). At his homepage he now presented some important findings
regarding discrepancies between written standards, standard drawings and
his birds inspected for hen pigeon (German Modena) and pouters (English
Pouter and Pigmy Pouter).
http://www.pigeon-anatomy.com/drunter-und-drüber/rassegruppe-huhntauben/
http://www.pigeon-anatomy.com/drunter-und-drüber/rassegruppe-kropftauben/
His summing up is a rational appeal for more reality in
written standards and especially in standard drawings.
Sources:
Fliedner, Dieter M., Die Gestalt der Taube. The
Artist's Guide to Pigeon Anatomy, 2012, ISBN 978-3-039322-8
Schachtzabel, E., Illustriertes Prachtwerk sämtlicher Taubenrassen,
Würzburg o.J. (1910)
Sell, Axel, Pigeon Genetics. Applied Genetics in the
Domestic Pigeon, Achim 2012, ISBN 978-3-9812920-3-9
Sell, Axel, Taubenrassen. Faszination Tauben über die Jahrhunderte, Achim
2009, ISBN 978-3-9812920-0-8
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