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Die gehämmerte Zeichnung bei Haustauben

Für Darwin war die blaubindige Felsentaube Ausgangspunkt der domestizierten Haustaube. Spätere Färbungen hätten sich im Zuge der Domestikation aus Blaubindigen entwickelt. So auch die Aussage des Ornithologen Bechstein, der selber Tauben gehalten hat. Er glaubt, in Thüringer das Auftreten gehämmerter Zeichnungen, neben anderen Farbabänderungen, bei halbwild gehaltenen Tauben beobachtet zu haben (Bechstein 1795). Im Gegensatz dazu stellt Charles Otis Whitman (1842-1910) die gehämmerte Zeichnung an den Anfang. Für ihn hat sich die bindige Zeichnung der Felsentaube durch eine ‚allmähliche fortschreitende Veränderung‘ im Evolutionsprozess ergeben. Er zeigt die Ähnlichkeit der Hämmerung in den Wildtaubenarten auf, die besonders deutlich in ihrem Jungendgefieder ist. Die Entwicklung von einer Hämmerung zu Binden wäre auch die embryonale Entwicklung. Bei der von der Felsentaube abstammenden Verpaarung von gehämmerten Haustauben über die Generationen würde sich die Hämmerung reduzieren auf 4, 3, 2, 1 und 0 Binden, während bei seinen Versuchen über 8 Jahre der umgekehrte Weg, von Bindigen zu Gehämmerten, ergebnislos geblieben sei (Whitman 1916, S. 16ff., 162). Der von Whitman im Experiment beobachtete Weg, von Gehämmerten zu Bindigen, ist aus heutiger genetischer Sicht allerdings nicht ungewöhnlich, wenn unter der Anfangspopulation ein mischerbiges Tier gewesen ist. Eine jüngere molekulargenetische Studie nimmt Vermutungen auf, dass die gehämmerte Zeichnung nach Trennung der Arten von der Guineataube auf die Haustaube übertragen worden sei (Introgression). Und das nach einer Schätzung erst vor 429-857 Jahren (Vickrey u.a. 2018). Daher ist es interessant, die Verbreitung und Dokumentation gehämmerter Tauben in der Literatur zu verfolgen.

Abb. 1: Vererbung der gehämmerten Zeichnung bei Brieftauben. Quelle: Critical Issues Part VII

Verbreitung und Dokumentation der Hämmerung

Bei heutigen Stadttauben und bei Vermischungen von Haustauben mit Felsentaubenbeständen haben Tauben mit der gehämmerten Zeichnung weltweit einen großen Anteil. Bei Wiener Stadttauben haben Haag-Wackernagel/Heeb/Leiss (2006) einen Anteil der Gehämmerten (31,7 %) und Dunkelgehämmerten (24,8%) gegenüber 37,3 % Bindigen festgestellt. Hohlig waren 4%. Durch epistatische Wirkungen (z.B. durch den die Zeichnungen überdeckenden Spread-Faktor) konnten 9,9% nicht beurteilt werden. Bei verwilderten Haustauben in Kansas kamen Johnston/Johnson (1989) bei einer Beobachtung 1984/85 auf 37% Bindige, denen 22% Gehämmerte und 41% Dunkelgehämmerte gegenüberstanden. Bei mit Haustauben vermischten Wildtaubenbeständen in Bangladesch gab es neben anderen Färbungen 11% Blaugehämmerte und 75% Blaubindige (Kabir 2016). 

Bei Taubenzüchtern hatten Gehämmerte in den Anfängen der organisierten Taubenzucht und in den ersten Monographien über Tauben keine Bedeutung. Sie hatten, mit Ausnahmen einiger Faktorkombinationen mit Bronze oder Weiß in den Hämmerungskonturen, kein hohes Ansehen. Bechstein (1795/1807) beschreibt sie als Variante bei den Feldtauben. Im ersten ausführlich bebilderten deutschsprachigen Haustaubenbuch bei Neumeister (1837) findet sich unter den 123 auf den Tafeln gezeigten Tauben kein gehämmertes Exemplar. Das Gen für die Hämmerung dürfte aber bei den sog. Weißblässchen mit bronze und weißlich geschuppten Flügelschildern vorhanden gewesen sein. Im Text taucht die Zeichnungskontur der Hämmerung unter den nach den Feldtauben im Text aufgeführten ‚melierten‘ Tauben in Anlehnung an Bechstein auf. Unter diesen genannt auch Lerchenstoppelige und Geschuppte. Erstere wahrscheinlich Vorformen der Lerchen, die zweiten der späteren geschuppten Luchstauben.

 

Abb. 2: Pariser Kröpfer, Peter Paillou 1744. Abb. 3: Farbentauben bei Neumeister 1837

Brehm (1857, S. 92) beschreibt ‚karpfenschuppige‘ und ‚hammerschlägige‘ unter den Feldtauben, mit denen sie vergesellschaftet waren, aber eine Minderheit bildeten. Eine frühe Zeichnung eines Pariser Kröpfers mit einer ähnlichen Schuppung hatte 1744 in England schon Peter Paillou vorgelegt. Ähnlich den aus Kröpfern entstandenen Pigeon Maillés bei Boitard/Corbié 1824 (S. 179ff.) als Vorformen der späteren Cauchois.

Abb. 4: Gehämmerte Feldtaube bei Marcus zum Lamm um 1600. Quelle: Kinzelbach/ Hölzinger 2000. Abb. 5: Blaugehämmerte Tauben im Nordpalast von Echnaton in Armarna, Ägypten, um 1350 v. Chr. Quelle: Haag-Wackernagel 1998

Abbildungen von Blaugehämmerten gab es allerdings noch früher. Geht man 429 Jahre zurück, die oben genannte Untergrenze für eine potentielle Introgression, dann ist man in der Zeit von Marcus zum Lamm (1544-1606). In Freiburg (Deutschland) hat er Bilder für seinen Thesaurus Picturarum malen lassen und eine Sammlung zusammengestellt. In seinen Aufzeichnungen genannt auch eine ‚Visch Schüppichte oder hammerschlegichte Daub‘. Das war eine offenbar in der Region geläufige Bezeichnung für Gehämmerte. Erhalten geblieben ist von seinen Bildern u.a. eine Zeichnung eines blaugehämmerten Feldflüchters. Es muss gehämmerte Haustauben daher schon lange vor dieser Zeit gegeben haben, da es zu der Zeit schon gebräuchliche Begriffe waren. Gehen wir 857 Jahre zurück, sind wir kurz vor der Zeit Kaiser Friedrichs II (1194-1250), der zwischen 1241-1248 sein Falkenbuch schrieb. Fertiggestellt wurde es von seinem Sohn. Unter den zahlreichen Miniaturen enthalten neben Turteltauben auch zwei Haustauben, die man im Vergleich mit abgebildeten Blaubindigen als gehämmert einordnen kann. Noch weiter zurück zeigen die wiederhergestellten Wandbilder im Nordpalast von Echnaton in Amarna (um 1350 v. Chr.) in Ägypten u.a. eine blaue Taube, die von Haag-Wackernagel (1998, S. 46f.) als gehämmert eingestuft wird. In der Gesamtschau vermitteln die Zeugnisse aus der Vergangenheit den Eindruck, dass die Hämmerung bei Haustauben an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten mutativ aufgetreten ist, wie es Bechstein beschreibt.

Gute Bedingungen fanden Gehämmerte, halb-wild gehalten, offenbar zur Zeit von Albin, der 1738 eine gehämmerte Taube als Vertreter der ‚Dove House‘-Tauben in England zeichnete. Dixon beschreibt sie gut 100 Jahr später als typische Insasse der englischen ‚Dovecots‘ (Dixon 1851, S. 162ff.). Nach Dixon hatte sich die gehämmerte Variante zu seiner Zeit schon erfolgreich in London und in anderen Teilen Englands unter Bahnüberführungen etabliert. Das spricht für Vorteile der Gehämmerten im Überlebenskampf mit Zunahme der Urbanisierung.

        

Abb. 6: Gehämmerte Dovecot-Taube, Albin 1735. Abb. 7: Gehämmerte Dovecot-Taube bei Dixon 1851

Die Steigerung des Ansehens und damit die Verbreitung in der Liebhaberzucht wird mit der Verbreitung der Belgischen Brieftaube nach 1800 zusammenhängen. Verbunden damit ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Erzüchtung von brieftaubenartigen Rassetauben wie Show Antwerp, Show Homer, Show Racer, der Deutschen Schautaube u.a. Auf den 50 Farbtafeln im Prachtwerk von Fulton (1876) finden sich zwei Farbtafeln mit gehämmerten Brieftauben (in England wegen der Importe über den Hafen Antwerpen ‚Flying Antwerps‘ genannt), und Show Antwerps. Auf den anderen Tafeln nur einmal eine Gehämmerte, und zwar eine Blaugehämmerte auf einer Tafel der Schildmövchen. In Kombination mit einer weißen Schuppung ist das Gen für die Hämmerung auch bei Bildern der Orientalischen Mövchen, Hyazinthtauben, Startauben und Eistauben zu erkennen.

    

Abb. 8: Gehämmerte Show Antwerp (oben) und Flying Antwerp (Belgische Brieftauben). Abb. 9: Orientalische Mövchen Blondinetten mit gehämmerter und bindiger Zeichnung. Abb. 10: Hyazinthtaube (oben) und Startaube (rechts unten) mit gehämmerter Zeichnung. Quelle: Fulton 1876

Hybriden mit Guineatauben

Die Ähnlichkeit der Hämmerung der Guineataube mit dem typischen hellen dreieckigen Fleck am Federende im Schild mit der Hämmerung einiger, nicht aller Haustaube hatte schon Whitman herausgestellt. Eine ähnliche Hämmerung finde man bei vielen Wildtaubenarten. Neben der weit verbreiteten Turteltaube, deren Hämmererung Whitman für die archaische Form der Hämmerung in der Familie der Tauben hält (S. 50), finde man die spezielle Hämmerung der Guineataube u.a. auch bei der Columba maculosa und der C. albipinnis (S. 163).

  

Abb. 11 und 12: Guineataube und Hybrid-Weibchen, das durch Krankheit verloren ging. Wurde mit den Brieftauben gehalten und flog gut mit den Brieftauben zusammen (Cool Creek über Facebook). Abb. 13: Columba maculosa, Lip Kee Yap, CC BY-SA 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0>, via Wikimedia Commons.

Hybriden von Guineatauben mit Haustauben und Rückpaarungen wurden im Zuge Blutgruppenuntersuchungen von Taubenarten analysiert. So 1936 von Irwin, Cole, Gordon sowie Miller/Bryon 1953 und LaBar/Irwin 1967. U.a. wurden fünf verschiedene antigene Substanzen als mutmaßliche Vererbungseinheiten identifiziert, die spezifisch für die Guineataube waren (Miller/Bryon 1953, S. 407). Hybriden mit bindigen Haustauben zeigten die gehämmerte Zeichnung und im Freiflug auch die Schlagtreue der Brieftauben (Cole Creek 2019). Berichtet wird über Probleme, Hybriden zu erhalten und aufzuziehen und frühe Sterblichkeit (vgl. auch Gray 1958). Einige der Hybriden sind lebens- und fortpflanzungsfähig, auch bei Rückpaarungen an Haustauben.

Verbreitung von Mutation und Einführung von Genen durch Hybriden

Ein ähnliches Verhalten, die Möglichkeit fruchtbare Hybriden zu erhalten, und die optische Ähnlichkeit mit der Hämmerung der Haustaube führten zu Spekulationen, dass die Zeichnung von der Guineataube auf die Haustauben übertragen wurde (Introgression). Angesichts der spärlichen Hinweise speziell auf die gehämmerte Zeichnung bei Haustauben aus der Vergangenheit eine nicht unbegründete Hypothese. Mathematische Modellrechnungen zeigen, wie schnell sich überlegene Gene, sei es durch Mutationen in einer Population entstanden oder durch Kreuzung hinzugefügt, bei zufälliger Partnerwahl durchsetzen können. Ein dominanter Faktor wird bei zahlenmäßig gleichbleibender Population und Zahl der Nachkommen (je Elter) von 5, einem Vorteil der Träger des neuen Merkmals von 1/100 sowie einer Anfangshäufigkeit des neuen Gens von 1/1000 nach 400 Jahren einen Anteil von etwa 50% erreicht haben (Mittmann zitiert nach Kühn 1961, S. 250).  Zufällige Paarung kann man bei verwilderten Haustauben und, im Hinblick auf die Färbung, bei primär auf Leistung selektierten Brieftauben annehmen. Bei anderen Rassen spielen andere Auslesekriterien der Züchter eine Rolle. Bei Zuchtgruppen, in denen neue Faktoren Eingang gefunden haben, wird sich der Faktor mit anderen vorhandenen über die Generationen kombinieren. Nehmen wir an, in einer Taubenpopulation sei Smoky neben dem Wild-Typ vorhanden. Dann sollte sich nach kurzer Zeit der Anteil von Tauben mit dem Faktor Smoky bei Gehämmerten und bei Bindigen nicht unterscheiden. Enge genetische Koppelungen, die eine Durchmischung über Jahrhunderte behindern könnten, sind unwahrscheinlich. Regional wird es in Unterpopulationen durch räumliche Distanzen, andere Umweltbedingungen, nicht direkt erkennbare Faktorinteraktionen, Gefährdungen durch Greifvögel u.a., Unterschiede in der Genausstattung geben (Santos et al. 2015). Solche Unterschiede wurden auch zwischen verwilderten Haustaubenpopulationen in den Megastädten im Nordosten der USA von Boston bis Washington festgestellt (Carlen et al. 2021). So wird es bei Tests, bei denen die Anteile bestimmter Faktorkombinationen von Bedeutung sind, einen Unterschied machen, wenn z.B. Bindige aus einer anderen Region oder aus anderen Rassen gewählt werden als Gehämmerte.

Bei einer Introgression liegt der wesentliche Unterschied zur Mutation innerhalb der Art darin, dass, begleitend mit dem betrachteten Gen, die Hybriden mischerbig für weitere Erbfaktoren sind. Einige davon in der aufnehmenden Population bis dahin nicht vorhanden. Die meisten davon wahrscheinlich äußerlich nicht sichtbar. Es könnten Immunitäten sein, Gene, die den Energiestoffwechsel beeinflussen, etc. Sie könnten artspezifisch und bei der das Gen übertragenden Art mutativ nach Ausbildung als eigene Art entstanden sein. Bei einer Übertragung auf Haustauben werden viele schnell verschwinden, andere sich aber verankern und möglicherweise stark ausweiten. Die Ausbreitung dürfte ähnlich wie bei einer Mutation vom Entstehungspunkt ausgehen und über die Zeit regional weiter ausstrahlen. Unter menschlicher Obhut spielen bei neu entdeckten Mutationen allerdings auch Entfernungen keine Rolle, wie das Beispiel Reduced zeigt (Sell 2012, 2021). Bei Unterpopulationen, in die diese Faktoren eingedrungen ist, werden sie sich untereinander und mit den vorhandenen, so wie bei der Verbreitung von Mutationen, frei kombinieren.

Messung von Introgression

ABBA-BABA-Tests: In der Evolutionsforschung erfolgt eine Analyse einer potentiellen Introgression meist durch ABBA-BABA-Tests, in denen 4 Populationen miteinander verglichen werden (Durand et al., 2011). Es sind zwei gegenwärtig vorhandene Populationen P1 und P2. Dann eine evolutionsgeschichtlich ältere Population P3 und eine vierte Outgroup-Population O. Diese ist entfernter mit diesen drei Ingroup-Populationen verbunden. Ihr Genom dient als Referenz, ihre Genausprägung an den verglichenen Genorten wird mit A bezeichnet. Die Alternative, die P3 besitzt, wird als ‚derived allel‘ bezeichnet und mit B symbolisiert. Die Nullhypothese für den empirischen Test ist, dass P1 und P2 von einer gemeinsamen Vorfahrenspopulation divergierten, die sich von den Vorfahrenspopulation von P3 zu einer früheren Zeit getrennt hatte. Nach der Abspaltung von P1 und P2 von den Vorfahren von P3 habe es keinen Genfluss einer der Gruppen mit P3 gegeben. Die Alternativhypothese lautet, dass P3 mit P1 oder P2 Gene ausgetauscht hat, nachdem sich diese beiden Populationen getrennt haben (Durand et al. 2011, S. 2240). Wenn die Nullhypothese zutrifft und die Vorfahrenspopulation von P1, P2 und P3 sich mit gleicher Wahrscheinlichkeit ohne Selektionsunterschiede miteinander verpaarten, dann sollten die abgeleiteten Allele in P3 gleich häufig mit denen in P1 und P2 übereinstimmen und die D-Statistik des ABBA-BABA-Tests Null ergeben. Deutliche Abweichungen von Null bedürften einer Erklärung, die in einer Introgression von P3 an P1 oder P2 liegen kann. Alternativ auch von einer P3 sehr ähnlichen ‚Geisterpopulation‘ PG, die möglicherweise nicht mehr existiert (Durand et al. 2011, 2040).

Umwidmung des ABBA-BABA-Tests auf Farbenschläge: In der Studie von Vickrey et al. 2011 wird die breiter angelegte ABBA-BABA Methodik umgewidmet auf die spezielle Frage, ob die gehämmerte Zeichnung der Haustaube von der Guineataube übertragen wurde. P1 sind in der Versuchsanordnung bindige Haustauben, P2 sind Gehämmerte. P3 ist die ausschließlich gehämmerte Guineataube. Als Outgroup wurde die Ringeltaube (Wood Pigeon) gewählt. P1 und P2 sind damit keine unterschiedlichen Arten, die sich hauptsächlich unter sich vermehren, sondern unterschiedliche Farbenschläge der Haustaube. Diesen hatte Harms 1939 in seinen Untersuchungen keinen eigenen Rassecharakter zugesprochen (S. 11). Für die Berechnung bedarf es einer Identifizierung von übertragenen (derived) Genen oder solcher, die man für solche hält. Bei zufälliger Verpaarung und über lange Zeiträume in Symbiose gehalten, werden sich ‚derived‘ und vermeintliche ‚derived‘ Allele auf Bindige und Gehämmerte in gleicher Weise verteilen.

Aussagekraft der Untersuchungen für Farbenschläge der Haustaube

Der gehämmerten Taube in den englischen Dovecots wurde von Blyth als C. affinis zu Lebzeiten Darwins ein eigener Status zugemessen, was Darwin (1868) mit vielen Argumenten verneinte. Er hielt die bindige Variante bei der Felsentaube für die ältere. Für Whitman war es umgekehrt (S. 49). Bei der Umwidmung der ABBA-BABA-Tests auf Haustauben werden gehämmerte Tauben wie eine eigene Population behandelt. Von der Tierzucht kommend, kann man sich kaum vorstellen, dass Bindige und Gehämmerte, die über Jahrhunderte in Symbiose leben, sich systematisch voneinander unterscheiden. Eine Ausnahme, bei den die Zeichnung bestimmenden Genen. Die regional abgegrenzten und eine Fortpflanzungsgemeinschaft bildenden Wiener Stadttauben mögen eine Population bilden, nicht aber einzelne Farbenschläge daraus. Es sei denn, es gäbe eine starke Affinität bei der Partnerwahl auf die gleiche Zeichnung. In der Studie wird zum Beleg einer Affinität u.a. die Untersuchung bei verwilderten Haustauben (Ferals) von Johnston/Johnson 1989 zitiert. Diese legt eher eine stärkere Durchmischung bei Bindigen und Gehämmerten durch die Partnerwahl nahe. Im Ausstellungswesen fördert die Standardauslegungen eine Verpaarung von Bindigen und Gehämmerten. Mischerbige Gehämmerte entsprechen mit einer offenen Hämmerung meist mehr den Standardvorstellungen als Reinerbige. Auch von dorther Anreiz zur Verpaarung beider Farbenschläge.

Zur Empirie: Für den Genbereich, in dem die Zeichnungen verankert sind, zeigt die D-Statistik Werte nahe Eins. Diese Genbereiche der gehämmerten Haustaube entsprechen damit in der Messung weitgehend den Genbereichen der Guineataube und die Hämmerung ist von der Ausgangsfragestellung das zentrale ‚derived allele‘. Ein Unterschied liegt darin, dass bei der Guineataube keine Wiederholungen von Genabschnitten (Copy Number Variation) gefunden wurden (Vickrey et al. 2011). Für das Gesamtgenom wurden Werte der D-Statistik nahe Null errechnet. Mit 0,021 positiv, was als Indiz für eine Introgression von P3 betrachtet wird. Welche Phänotypen oder Merkmale hinter den vermuteten ‚Derived Allelen‘ stehen und wie viele es in der Stichprobe sind, ist für Außenstehende nicht zu erkennen. Bei raren Genen wird es durch Drift in den Populationen Probleme bereiten, ‚derived‘ Allele eindeutig zu identifizieren. Nach dem, was man bisher über genetische Koppelungen und Korrelationen und über das Paarungsverfahren der Taube weiß, sind Abweichungen der D-Werte von Null erklärungsbedürftig. Sie könnten, wie bei Mutationen, auch auf Zufall und die Stichprobenauswahl zurückzuführen sein. Seltene archaische Gene, durch Gendrift in den Arten mit unterschiedlichen Anteilen vorhanden oder verschwunden, könnten mit ‚derived Allelen verwechselt werden. Insgesamt wurde eine überschaubare Zahl von Individuen untersucht. Signifikanz bei geringen D-Werten kann bei einer moderaten Zahl an untersuchten Individuen erreicht werden, wenn bei diesen jeweils mehrere Genorten betrachtet werden. Die für die formale Signifikanzaussage bedeutsame rechnerische Stichprobenzahl erhöht sich damit multiplikativ.

Resümée

Bei Haustauben hat der Anteil gehämmerter Tauben in den letzten Jahrhunderten stark zugenommen. Daher interessant, möglichen Ursachen nachzugehen und auch der Frage, ob die Hämmerung durch Mutation im Zuge der Domestikation oder durch Hybridisierung mit der Guineataube in die Haustauben gelangte. Ob ABBA-BABA-Tests methodisch für diese Fragestellung eine Hilfe sein können, ist aus tierzüchterischer Sicht eher fraglich. Gehämmerte und bindige Haustauben bilden keine getrennten Populationen. Sie sind bei Stadttauben und Brieftauben unterschiedliche Farbenschläge einer Fortpflanzungsgemeinschaft. Eine so starke Affinität bei der Verpaarung innerhalb identischen Farbenschläge besteht bei Tauben nicht, dass, nach bisherigen Erkenntnissen aus Kreuzungen zwischen Rassen und Untersuchungen zu genetischen Koppelungen, potentiell erworbene (derived) Allele über Jahrhunderte verbunden bleiben. Vielleicht werden molekulargenetische Studien dazu bald näheres und anderes sagen. Die Frage der ‚derived‘ Allele ist eng verbunden mit der Frage, ob man sich vorstellen kann, dass sich Mutationen wiederholen. In der methodischen Darstellung bei Durand wird das annahmegemäß ausgeschlossen. Wenn das so ist, dann kann die exklusive Existenz eines Gens in der aufnehmenden und abgebenden Population, sei es bei Gehämmerten oder bei Bindigen, unabhängig vom Wert der D-Statistik, allein betrachtet, ein starkes Indiz sein. Whitman (S. 19) betrachtete die Hämmerung als angestammtes Merkmal des Stammes (phylum) der Tauben, das sich bei der bindigen Felsentaube durch direkte und graduelle Modifikationen modifiziert habe. Wenn im Genom die Programmierung zur Hämmerung erhalten bleibt, könnte das Merkmal durch parallele selektiv auslösende Mutationen aktiviert werden, wodurch man sich z.B. bei Buntbarschen eine überraschend schnelle parallele Fixierung von Merkmalen in einer parallelen Evolution getrennter Populationen erklärt (Urban et al. 2020, S. 466). Möglich, dass sich in anderen Tierarten Parallelen finden.

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