Gene und Farbenschläge in klassischen und
molekulargenetischen Analysen
Gene als Träger
der Erbinformationen
Gene sind eine
kleine Strecke auf einem Chromosom, die durch eine bestimmte Wirkung
gekennzeichnet sind. Diese liegt bei der Mutation der schwarzen
Grundfarbe zu Aschrot in der Veränderung des Mischungsverhältnisses
von schwarzen und roten Farbstoffen zu Gunsten der roten Farbstoffe
(Phäomelanin). Am selben Genort erfolgte die Mutation zu Braun mit
einem wiederum anderen Mischungsverhältnis. Die Mutation von der
bindigen Zeichnung zur Hämmerung an einer anderen Stelle im Genom
bewirkt Hämmerungsflecken im Flügelschild. Am selben Genort gab es
Mutationen zu einer dunkleren Hämmerung und zum Wegfall der Binden (hohlig).
Weitere Mutationen gab es an anderer Stelle im Genom, die in ihrer
Kombination zur Vielzahl der Haustaubenfärbungen beitrugen, die
durch Levi in der Encyclopedia of Pigeon Breeds 1965 und auch in
späteren Büchern eindrucksvoll in Farbfotos festgehalten sind.
Kombinatorik am
Beispiel der Grundfarben und der Zeichnungs-Gene
Drei Grundfarben
(Schwarz, Aschrot und Braun) und vier Zeichnungen (Bindig, Hohlig,
Gehämmert und Dunkel-Gehämmert) ergeben miteinander kombiniert 3 x 4
= 12 Farbenschläge. Im Erscheinungsbild gibt es Bindige, Hohlige,
Gehämmerte und Dunkel-Gehämmerte auf blauer, aschroter und brauner
Grundfarbe.

Abb. 1: Die
Grundfarben Schwarz, Ash-Rot und Braun bei bindiger und gehämmerter
Zeichnung. Quelle: Sell, Pigeon Genetics 2012
Epistatische
Effekte am Beispiel des Farbausbreitungsfaktors
Wenn durch die
Mutation vom Wild-Typ zum Farbausbreitungsfaktor ‚Spread‘ eine
dritte Ebene dazukommt, dann sind es 3 x 4 x 2 = 24 genetisch
unterschiedliche Genotypen. Von kleinen Unterschieden durch Misch-
und Reinerbigkeit abgesehen, sind es aber nur 15 Phänotypen: (3 X 4)
+ 3 (vgl. Abbildung 5 im Anhang). Das liegt daran, dass Spread die
Zeichnungen weitgehend überdeckt. In der Genetik als ‚epistatisch‘
aus dem Griechischen übernommen. Bei schwarzer Grundfarbe erhält man
unterschiedlich intensiv gefärbte Schwarze, in der Färbung stärker
variierende Aschfahle und einfarbig Braune.

Abb. 2: Der
Farbausbreitungsfaktor bei schwarzer, brauner und asch-roter
Gundfarbe. Quelle: Sell, Pigeon Genetics 2012
Erkenntnisgewinnung in der Frühphase der Mendelschen Erbanalysen
Als man in der
ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Dominanz, Rezessivität,
Epistasie und die kombinatorische Verknüpfung durch klassische
Erbversuche fand, wusste man, dass die mendelnden Erbfaktoren in den
Chromosomen gelegen sind (Richard
Goldschmidt, Die Lehre von der Vererbung, 2. Auflage 6. – 10.
Tausend, Leipzig 1929, S. 106). Hier diese Quelle mit der
Auflagenhöhe zitiert, die das damalige Interesse an
wissenschaftlichen Fragestellungen zeigt. Die genaue Lage und das
konkrete Bild der DNA kannte man nicht. Dass sich die Zeichnungen
Binden, Hohlig, Hämmerung und die dunkle Hämmerung des blauen
Farbenschlages (schwarze Grundfarbe) bei den Rotfahlen und bei den
später analysierten Braunfahlen wiederholte, war für Züchter und
interessierte Wissenschaftler offensichtlich. Die Gene wurden nicht
im Labor identifiziert, sondern an ihren Auswirkungen im
Erscheinungsbild. So erhielt auch das Gen der Hämmerung den Namen,
Flecken im Schild wie mit dem Hammer auf kaltes Blech geschlagen.
Dass die Zeichnungsanlagen nicht nur in der Vorstellung der
Wissenschaftler existierten, ließ und lässt sich leicht dadurch
zeigen, dass z.B. die Anlage für die Hämmerung nach den Mendelschen
Regeln von einer Grundfarbe auf die andere übertragen wird. Das
lässt sich auch leicht für den Farbausbreitungsfaktor zeigen, wenn
Aschfahle mit Blaubindigen oder Blaugehämmerten verpaart, neben
Aschfahlen auch schwarze Jungtiere bringen. Das gilt auch dann, wenn
der Blaugehämmerte zusätzliche modifizierende Erbfaktoren besitzte,
wie im beigefügten Bild die Anlagen zur Eisfarbe.

Abb. 3:
Übertragung des Spread Gens von einer Aschfahlen auf die schwarze
Grundfarbe mit dem Ergebnis aschfahler Jungtäuber und schwarzer
Jungweibchen. Source: Sell, Critical Issues in Pigeon Breeding Part
VI (2021)
Bei der
Präsentation der Abbildung über das Zusammenwirken der drei
Faktorgruppen wird sich immer jemand finden, der mit dem Hinweis
protestiert, er habe aus der Verpaarung von Blau mit Schwarz auch
‚Schwarze mit noch schwärzeren Binden‘ gezogen. Dieses sind schwach
gefärbte Schwarze mit bindiger Zeichnung, die sich von den dunkleren
Schwarzen durch Modifikatoren unterscheiden und bei vielen solcher
Paarungen zu finden sind. Auf diese Aspekte wird in den besseren
Lehrbüchern nach der grundlegenden Einführung eingegangen. Solche
Besonderheiten sind auch Gegenstand der Serie ‚Critical Issues in
Pigeon Breeding‘.
Erkenntnisgewinnung in molekulargenetischen Untersuchungen
Mit der
Entwicklung der Molekulargenetik bekamen Gene in Form von
feststellbaren Basenfolgen in bestimmten Strecken von Chromosomen
ein Gesicht. Damit wurde es auch möglich, in diesen Abschnitten nach
Unterschieden und Gemeinsamkeiten in der DNA bei Individuen mit
bestimmten Merkmalen zu suchen. Man kann so zeigen, dass z.B.
Individuen mit aschroter Färbung in einem bestimmten Bereich
systematisch eine andere Basenfolge aufweisen als z.B. Tauben mit
der Färbung des Wild-Typs. Wenn in der experimentellen Analyse die
Identität des Farbausbreitungsfaktors bei Aschfahl und Schwarz durch
Übertragung des Farbausbreitungsfaktors von Aschfahl durch
Kreuzungen mit Blauen oder Gehämmerten auf Schwarze gezeigt wurde,
kann das molekulargenetisch im Labor durch Vergleich der relevanten
Genombereiche erfolgen. Epistatische und kombinatorische Effekte war
dann auch die Überschrift eines Artikels, in denen das in der
klassischen Genetik gewonnene Grundgerüst des Zusammenwirkens von
Erbfaktoren molekulargenetisch untermauert wird (Domyan u.a. 2014).
Die Bedeutung
der molekulargenetischen Untersuchungen für die Praxis der
Taubenzucht
Wie in der Studie
von Domyan u.a. (2014) ausgeführt, sind die Verhältnisse von
Dominanz und Rezessivität zueinander und die hierarchischen
Beziehungen wesentlicher Erbanlagen durch die klassischen
genetischen Studien bekannt. Nicht aufgedeckt wurden die
molekulargenetischen Eigenheiten dieser Genorte und die Mechanismen
ihrer Interaktion, zu deren Entschlüsselung die zitierte Studie und
weitere neuere Studien einen wesentlichen Beitrag leisten. Wenn man
weiß, an welcher Stelle im Genom bestimmte Erbinformationen
gespeichert sind und die Basenfolge der DNA-Abschnitte (Gene) kennt,
dann wird es auch leichter sein zu entscheiden, ob ähnliche
Erscheinungen auf identischen Genen, Allelen oder anderen Genen mit
ähnlicher Wirkung beruhen. Interessant wäre es für genetisch
Interessierte vor allem bei den sich äußerlich und auch im Erbgang
unterscheidenden Bronze- und Schimmelvarianten. Bei den
Schimmelvarianten z.B. wurden im Buch ‚Pigeon Genetics‘ 2012 allein
fünfzehn in der Erscheinung unterschiedliche Varianten beschrieben.
Insbesondere bei dominanten Faktoren wird man bei traditionellen
experimentellen Tests bei der Klassifikation der ersten, zweiten und
Folgegenerationen überfordert sein. Gezeigt haben die Untersuchungen
der letzten Jahre auch, dass auch bei Tauben nicht nur die
Basenfolge für Merkmalsausprägungen verantwortlich ist, sondern z.B.
auch Copy-Number Variationen vorliegen können. Gene sind dann in
erhöhter oder verringerter Kopienzahl vorhanden (Bruders u.a. 2020,
und kurz in Critical Issues Part IV).
Vererbungslehre
und Taubenzucht
Für die Praxis der
Taubenzucht stellen die molekulargenetischen Studien eine
Bestätigung der Ergebnisse eines Jahrhunderts klassischer
Erbanalysen dar. Sie bestätigen damit indirekt auch die aus der
klassischen Genetik gewonnenen Zuchtstrategien. Nicht nur für die
oben dargestellten Faktoren. Eigentlich wäre zu erwarten, dass auch
das Interesse in der Züchterschaft an Vererbungsfragen damit größer
würde. Eher das Gegenteil ist der Fall. Von den in den
Taubenzüchterforen im Internet aktiven Mitgliedern wird weit mehr
als die Hälfte den Namen Punnett nicht im Gedächtnis haben. Und von
den anderen wird nur eine Minderheit wissen, um was es beim
didaktischen Instrument der Punnettschen Quadrate in der
Zuchtplanung geht. Für die tiefer an genetischen Fragen und
Mechanismen interessierten Züchtern ist es ein Glücksfall, dass
Molekulargenetiker die Haustaube als Untersuchungsobjekt wieder in
die akademische Forschung zurückbringen konnten. Anderen haben meist
schon bei der klassischen Genetik Probleme mit den nur als Abkürzung
für längere Namen von Erbfaktoren genutzten Symbolen. Für sie
scheinen sich mit der neuen Terminologie, trotz aller
Überbrückungshilfen, eher größere Berührungsängste aufzubauen (AS).
Quellen:
Bruders, Rebecca u.a., A copy number variants is
associated with a spectrum of pigmentation patterns in the rock
pigeon (Columba livia), PLOS Genetics, open access, Published May
20, 2020.
Domyan, Eric T., Michael W. Guernsey u.a.,
Epistatic and Combinatorial Effects of Pigmentary Gene Mutations in
the Domestic Pigeon. Current Biology 24, 459-464, February
17, 2014.
Goldschmidt,
Richard, Die Lehre von der Vererbung, 2. Auflage 6. – 10. Tausend,
Leipzig 1929.
Levi, W. M., Encyclopedia of Pigeon Breeds,
Jersey City 1965.
Sell, Axel,
Handbuch der Tauben. Band I: Zucht und Vererbung, 1. Auflage 1986;
Breeding and Inheritance in Pigeons, Hengersberg 1994.
Sell, Axel,
Verständnis und Missverständnisse in der Taubenzucht. Was man weiß
und was man zu wissen glaubt, Teile I-VI, Achim 2020, 2021.
Sell, Axel, Pigeon Genetics, Achim 2012.
Anhang:

Abb. 4: Axel Sell,
Zucht und Vererbung bei Tauben, Hengersberg 1986 und Pigeon Genetics,
Achim 2012.

Abb. 5:
Kombinatorische und epistatische Effekte am Beispiel der
Grundfarben, der Zeichnung und des Farbausbreitungsfaktors. Quelle:
Sell, Handbuch der Tauben Band I: Zucht und Vererbung, Hengersberg
1986.

Abb. 6: Quelle: Sell, Critical Issues in Pigeon
Breeding, Achim 2021, http://www.taubensell.de
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