Koppelungen und Crossing Overs bei Tauben: Exemplarisch am Beispiel
von Grundfarbe, Verdünnung und Schnabellänge
Koppelungen bei Tauben wurden schon 1919 am
Beispiel der Grundfarben und Verdünnung von Cole und Kelley
nachgewiesen. Jedes allgemeine Lehrbuch zur Vererbungslehre
behandelt das Thema ausführlich. Wer gerne diese Begriffe gebraucht,
sollte Bedeutung und Auswirkungen zumindest einmal exemplarisch an
einem Beispiel nachvollzogen haben.
Exemplarisch, ein Lieblingswort der Pädagogen.
Wer einmal den ‚Mechanismus‘ an einem Beispiel verstanden hat, der
sollte ihn auf andere Phänomene übertragen können. Wer weiß, wie
sich Blaugehämmerte und Blaubindige bei Paarungen verhalten, wird
das auch auf Braune, Rotfahle, Indigo, Reduced und andere
Farbenschläge mit diesen Zeichnungen übertragen können. Wer am
Beispiel Gehämmert begriffen hat, was dominant, rezessiv und
intermediär bedeuten, sollte das auch auf Indigo bei Paarungen mit
Blauen übertragen können. Das gilt auch für Koppelungen. Am
einfachsten darzustellen und nachzuvollziehen an Genen auf dem
Geschlechtschromosom. Hier steht beim Weibchen dem Chromosom ein
wesentlich kleineres W-Chromosom gegenüber. Es trägt vor allem
Informationen zur Ausbildung der weiblichen Geschlechtsmerkmale. Das
Weibchen besitzt damit im Unterschied zum Täuber die
geschlechtsgebundenen Gene, wie die der Grundfarben und Verdünnung,
nur einfach.
In Abb. 1 eine authentischer
Mini-Demonstration. Der schwarze Täuber zieht mit seiner
verdünntfarbenen dominant roten Täubin (dominant gelb) regelgerecht
schwarze Jungweibchen und mischerbig dominant rote Täuber. Die
Genausstattung der Chromosomen im Bild. Betrachtet werden in der
Folge nur die Auswirkungen auf die Weibchen. Anders als die Täuber
können sie nicht mischerbig sein und sind daher einfacher zu
klassifizieren.

In Abb. 2 die Rückpaarung des
mischerbigen Täubers aus Abbildung 1 an eine Dominant Gelbe. Ohne
Crossing Overs werden aus dem Jungtäuber schwarze Jungweibchen und
dominant gelbe Jungweibchen fallen. Das ist bei den beiden
Jungweibchen mit dem verdünntfarbenen Schwarzen offenkundig nicht
der Fall.

Zu erklären durch Crossing Over (Abb. 3). In
der Endphase der Vorbereitung der Chromosomen (hier des für Dominant
Rot und Verdünnung mischerbigen Täubers) auf die Verschmelzung
liegen die beiden Chromosomen zusammen, überkreuzen sich, teilen
sich wieder und verkleben in neuer Kombination.

Durch Crossing Overs (CO) gibt es in der
Nachzucht auch schwarze verdünntfarbene Weibchen (dun) und
intensivfarbene Rote. Weibchen mit schwarzer Grundfarbe sind schon
im Nest zu klassifizieren. Dunfarbene darunter sind CO. Schwarze,
Blaugehämmerte etc. sind keine CO.
Im Report von Cole und Kelley wurde eine
Crossing Over-Rate von 40% ermittelt, die auf eine große Distanz der
Genorte schließen lässt (S. 199). Im Mini-Versuch auf die Auswertung
der schwarzen Täubinnen beschränkt, sogar 47%, nahe der 50%, die bei
Unabhängigkeit der Gene zu erwartet ist. Mit der Studie von 1919
waren früh markante Eckpunkte des Geschlechtschromosoms für eine
Kartierung bestimmt. Beide Genorte weit voneinander entfernt an
gegenüberliegenden Enden
Mit der Erkenntnis, dass der Genort für Stipper
und Allele dicht am Genort der Grundfarben liegt, und der Genort für
Reduced und Rubella dicht am Genort für die Verdünnung, konnte die
Chromosomenkarte weiter gefüllt werden. Wobei Hollander sich nicht
sicher war, ob die Reihenfolge von Dilution (d) und Reduced (r)
sowie von St (Stipper) und Farblokus (b für Braun) korrekt war.

Auch noch nicht verortet der von
Hollander/Miller (1982) analysierte geschlechtsgebundene Letale
Schwimmfuß.
Aus den Angaben von Christie und Wriedt (1923)
hatte Hollander abgelesen, dass es auch bei der Kurzschnäbligkeit
einen geschlechtsgebundenen Einfluß gibt und weitere Faktoren
beteiligt sein werden (Hollander 1983). Vor nicht zu langer Zeit
auch als eine Schlussfolgerung in molekulargenetischen
Untersuchungen (Boer et al. 2021) bestätigt. Bei einem eigenen
früheren Versuch nach Kreuzung eines palefarbenen dominant roten
Gimpeltäubers (Gold-Weißflügel) mit einer kurzschnäbligen Täubin mit
schwarzer Grundfarbe deutete sich in der F2 und in
Rückpaarungen eine enge Koppelung der Genorte für kurzen Schnabel
und Grundfarben an (Sell 2012). Enger als in der 2. Versuchsreihe
mit 30% (Sell 2019) später gemessen. Der Koppelungsbruch kann an
unterschiedlichen Stellen erfolgen. Das in Abb. 2 gezeigte
dunfarbene Weibchen ist mit der Genkombination ‚Schwarz, langer
(Wild-Typ) Schnabel und Verdünnung‘ das Ergebnis eines CO hinter
dem Lokus für Schnabellänge und vor dem Lokus für die
Verdünnungsfaktoren (5). Auch mehrfache Cross-Overs sind möglich.

Crossing Over ist nicht taubenspezifisch, es
wird in allen genetischen Lehrbüchern ausführlich beschrieben. Schon
z.B. 1927 in der 1. Aufl. und 1929 in der 2. Aufl. gedruckten ‚Lehre
von der Vererbung‘ von R. Goldschmidt. Beeindruckend die
Auflagenhöhen mit insgesamt 10 Tausend. Damals offenbar ein großer
Wissensdurst. Heute ist vieles über Internet frei verfügbar. Dennoch
wird man sich das Verständnis selbst erarbeiten und die Flexibilität
besitzen müssen, das allgemein Dargestellte auf die eigene
Fragestellung anzuwenden.
Literatur:
Boer EF, Van Hollebeke HF, Maclary ET, Holt C,
Yandell M, Shapiro MD. A ROR2 coding variant is associated with
craniofacial variation in domestic pigeons. Curr Biol. 2021 Nov
22;31(22):5069-5076.e5. doi: 10.1016/j.cub.2021.08.068. Epub 2021
Sep 21. PMID: 34551284; PMCID: PMC8612976.
Christie, W., und Chr. Wriedt, Die Vererbung
von Zeichnungen, Farben und anderen Charakteren bei Tauben,
Zeitschrift für induktive Abstammungs- und Vererbungslehre 32
(1923), S. 233-298
Cole, Leon J., and Frank J. Kelley, Studies on
Inheritance in Pigeons. III. Description and Linkage Relations of
Two Sex-Linked Characters, Genetics 4: 183-201, 1919
Goldschmidt, Richard, Die Lehre von der
Vererbung, Zweite Auflage 6. Bis 10. Tausend mit 50 Abbildungen,
Berlin Verlag von Julius Springer 1929
Hollander, W.F., and W.J. Miller, A New
Sex-Linked Mutation. Web-Lethal from Racing Homers. American Racing
Pigeon News, Oct. 1982
Hollander, W.F., Origins and Excursions in
Pigeon Genetics, Burrton, Kansas 1983
Sell, Axel, Molecular genetics of short beaks,
in: Sell, Axel, Critical Issues in Pigeon Breeding. What we know and
what we believe to know, Part VI Achim 2021, p. 54.
Sell, Axel, Pigeon Genetics. Applied Genetics
in the Domestic Pigeon, Achim 2012
Sell, Axel, Taubenzucht. Möglichkeiten und
Grenzen züchterischer Gestaltung. Strukturen, Figuren, Verhalten,
Zucht und Vererbung in Theorie und Praxis, Achim 2019
AS Mai 2025
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