Mendelismus und Taubengenetik zur
Jahrtausendwende. W.F. Hollander und W.J. Miller,
Modernizing Mendelism – A centennial celebration. Informal
Publication of the Department 2000, somewhat aided by the Department
of Zoology/Genetics, Iowa State University, Ames.
Eine mit viel Nachdenklichkeit und viel
hintergründigem Humor verfasste ringgebundene Schrift von 106 Seiten
der Professoren Willard F. Hollander (1913-2004) und Wilmer J.
Miller (1925-2011). Eine Schrift zum 100. Jubiläum der
Veröffentlichung der Entdeckungen von Mendel? Wie einleitend
ausgeführt, war das schon 35 Jahre vor 1900. Geehrt wird mit der
Schrift daher auch, und wohl eher, William Bateson, der die
Erkenntnisse Mendels zu verbreiten half. Er war auch nicht der erste
Wiederentdecker der Mendelschen Regeln. Er war aber der erste, der
Mendel in englischer Sprache Beachtung verschaffte und 1906 den
Begriff der Genetik prägte.
Abb. 1: W.F.
Hollander und W.J. Miller, Modernizing Mendelism, Ames 2000.
Tauben sind nicht der Hauptgegenstand der
Schrift, tauchen in Beispielen aber immer wieder auf. Thematisiert
wird, was nach den Untersuchungen Mendels an Erkenntnissen dazu
gekommen und mit den Mendelschen Gedanken verknüpft wurde. So die
Geschlechtsgebundenheit, mehrere Ausprägungen an einem Genort (Allele),
genetische Koppelungen von Genen auf einem Chromosom, überdeckende,
epistatische Wirkungen von Faktoren (statt Rezessivität und
Dominanz), Ähnlichkeiten bei unterschiedlichen Erbfaktoren (mimics),
quantitative statt qualitative Merkmale, Verhaltensbesonderheiten
und anderes. Die Bedeutung des Referenzstandards für genetische
Untersuchungen wird aus unterschiedlichem Blickwinkel betrachtet.
Wie kann man Erscheinungen beschreiben? Was ist der ‚Wild-Typ‘ für
genetische Untersuchungen?
Abb. 2: Was ist
‚Normal‘ oder was ist der ‚Wild-Typ‘: Alles was ein Genetiker über
die normale Entwicklung weiß, lernt er durch Anschauung dessen, was
durch eine Mutation an einer bestimmten Stelle ersetzt wird – in
freier Übersetzung
Eindrucksvoll, wie durch einfache Zeichnungen
und Beispiele ein Eindruck davon vermittelt wird, wie
undurchschaubar und chaotisch der Blick auf die Taubenfärbungen auf
genetisch Interessierte um 1900 und noch danach gewirkt haben muss.
Färbungen waren ohne genetische Kenntnisse von Taubenliebhabern
durch Selektion rein geschaffen worden. Sie ergaben aber,
miteinander verpaart, auf den ersten Blick Ergebnisse, die sich
widersprachen und mit den einfachen Mendelschen Versuchen nichts
gemein zu haben schienen. Blau und Schwarz ergab Schwarz, Schwarz
und Rot ergab Schwarz, und selbst Rot und Weiß ergab gelegentlich
Schwarz.
Abb. 3: Blau x
Schwarz = Schwarz; Schwarz x Rot = Schwarz und Rot x Weiss = Schwarz
(links); Blaugeschuppte Blondinette X silber Lahore = Schwarz;
Gelber Tümmler x silber Lahore = Schwarz; Gelber Tümmler x weißes
Mövchen = Schwarz (rechts)
Die Paarungen der Jungtiere in der zweiten
Generation brachte noch mehr Verwirrung als Aufklärung. Rot kam in
vielen Abstufungen mehrfach vor.
Es ist eine große Leistung, diese Variationen
in ein System gebracht zu haben. Unterschiede in der Erscheinung
können heute aus dem Zusammenspiel unterschiedlicher Gene verstanden
werden wozu neben vielen anderen Wissenschaftlern W.F. Hollander und
auch W. J. Miller mit ihren Forschungen und Publikationen wesentlich
beigetragen haben. Wenn dennoch heute gelegentlich die Meinung
geäußert wird, wir wüßten wenig über Taubengenetik, dann ist daran
richtig, dass wir gerne mehr wissen würden. Es ist angesichts des
durch Hollander und Miller in der Schrift aufgezeigten Zuwachses an
Erkenntnissen seit Mendel aber auch respektlos im Hinblick auf die
Größe der Aufgabe und die erbrachte Leistung der am
Entschlüsselungsprozess beteiligten Wissenschaftler.
Abb. 4: Didaktik der
Genetik: Über ein Jahrhundert lang erfolgte eine Ausweitung des
Faches und eine Spezialisierung, so dass Fachleute eines
Spezialgebietes schließlich wenig von dem Gebiet anderer verstehen.
Könnte eine Antwort auf ein solches Nirvana in unzähligen Amateuren,
Züchtern und Taubenliebhabern liegen? „We dream
on“ (W.J. Miller 1989).
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