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Vor 100 Jahren: Sewell Wrights Inzuchtkoeffizient

Die negativen Wirkungen von Inzucht hatte schon Darwin im 19. Jahrhundert beschrieben. Ihm, und Tierzüchtern war aber bewusst, dass eine Einheitlichkeit der Nachkommen und eine Verankerung positiver Merkmale in einer Rasse ohne Verwandtschaftszucht nicht möglich ist. Bei kleineren Populationen wie in der Taubenzucht kommt es automatisch zur Verpaarung engerer Verwandter, zur Inzucht. Die Frage potentiell negativer Wirkungen bei Reinerbigkeit hatte Sewell Wright in den 1920er Jahren beschäftigt. Er suchte einen Ausgleich zwischen den positiven Wirkungen von Reinerbigkeit (Einheitlichkeit der Nachkommen und Vererbungskraft positiver Merkmale) und den negativen (Vitalität und Fruchtbarkeit).

Vereinheitlichung der Nachzucht bei konstituierenden Merkmalen wie Größe, Federstrukturen, Verhalten: Bei vielen Merkmalen ist Reinerbigkeit erwünscht und aus Erfahrung für die Lebensfunktionen nicht negativ. Wer glattköpfige Tauben züchtet, der freut sich nicht, wenn durch Mischerbigkeit für die Haube gelegentlich ein Jungtier mit Federhaube im Nest liegt. Wo eine mittlere Körpergröße angestrebt wird, stören in der Nachzucht Über- und Untergrößen. Reinerbigkeit für die im Standard festgeschriebene Ausprägung eines Merkmals ist das Ziel. Fremdpaarungen sind aus dieser Sicht verbunden mit der Gefahr des Verlustes einer mühsam erreichten Reinerbigkeit des Stammes.

Aufdecken von negativen Merkmalen im Stamm durch Verwandtschaftszucht: Durch Inzucht werden auch rezessive vitalitätsmindernde und im Extremfall letale Faktoren in einem Stamm aufgedeckt. Schwimmfüßigkeit bis hin zur letalen Schwimmfüßigkeit, Vielzehigkeit und andere sind aus dieser Sicht das negative Gesicht der Inzucht. Es ist aber nicht nur negativ, dass sie sich zeigen. Denn konsequente Züchter haben so die Möglichkeit, über Stammbäume die genetischen Merkmalsträger zu ermitteln und durch Selektion die Erscheinung im Bestand frühzeitig zu eliminieren. D und E sind im Beispiel durch die Abstammung von B latente Träger. Die Geschwister von D und E mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls, wie auch die Geschwister des betroffenen Individuums.


 

Äußerlich nicht wahrnehmbare Merkmale

Mit Fortschritten der Molekulargenetik kann man tiefer in das Genom blicken als mit dem bloßen Auge. So gibt es z.B. unterschiedliche Allele beim Feder-Keratin Gen und auch beim LDH-Gen, das eine Rolle bei der Umwandlung von Milchsäure (Laktat) spielt (vgl. den Überblicksartikel von Eberhard Haase 2021). Zeigte sich hier bei Untersuchungen bei Brieftauben, dass auch Spitzenflieger nicht unbedingt reinerbig für dieselben Allele sein müssen, so ergaben frühere Untersuchungen zu Transferrin-Genotypen, die beim Transport des in der Leber produzierten Eisens eine Rolle spielen, dass Reinerbigkeit für bestimmte Allele die Lebensfunktionen negativ beeinflussen kann. Bei permanenter Inzucht können sich negative Konstellationen auch bei anderen bisher nicht untersuchten Genen in Beständen anhäufen und damit das auslösen, was Inzuchtdepression genannt wird.

Die Berechnung des Inzuchtkoeffizienten

Der von Wright entwickelte Inzuchtkoeffizient berechnet aus einem Stammbaum, wie im Beispiel dargestellt, den potentiellen Inzuchtgrad eines Tieres. Potentiell, weil es die Wahrscheinlichkeit bestimmt, dass zwei Gene eines Genortes abstammungsgleich sind. Abstammungsgleich bedeutet, dass sie vom selben Ahnen stammen und über die Generationen weitergegeben wurden.

In dem Beispiel ist es der Ahne B, der sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits über die Eltern D und E gemeinsam im Stammbaum steht. Wenn A, B, C keine gemeinsamen Ahnen haben, die berücksichtigt werden müssten, gilt nach Wright der Koeffizient Fj für das Individuum j

Fj = Σ (1/2)n1+n2+1, n1 ist dabei die Anzahl der Generationen vom Elternteil D zum gemeinsamen Ahnen B (hier = 1) und n2 die Anzahl der Generationen vom Elternteile E zum gemeinsamen Ahnen B (hier auch = 1). Das Summenzeichen Σ bezieht sich darauf, dass es mehrere gemeinsame Ahnen geben kann. Dann wird ein Wert für jeden Ahnen berechnet und anschließend addiert. Für die gezeigte Halbgeschwisterpaarung errechnet sich ein Inzuchtkoeffizient von

Fj = (1/2)3 = 0,125.

Bei der Verpaarung von Vollgeschwistern wird sich der Wert verdoppeln, 0,250 (für eine tiefere Darstellung Sell 2012, 2019).

Die Parallelen zu Vererbungsabläufen

Die Formel für den Koeffizienten mag auf den ersten Blick wie Magie aussehen. Sie hat aber als Hintergrund das gleiche genetische Verständnis, das auch in den Mendelschen Gesetzen und in der Darstellung der Punnettschen Quadrate zum Ausdruck kommt. Unterstellen wir, dass Vollgeschwister miteinander verpaart werden, deren Eltern genetisch nicht miteinander verwandt sind. Auf einem Lokus im Genom befinden sich bei einem Elternteil die Allele 1 und 2 und beim anderen die Allele 3 und 4. Bei einer großen Anzahl von Nachkommen könnten daraus vier Genkombinationen fallen, (1//3), (1//4) und (2//3) sowie (2//4). Bei einer sehr großen Zahl zufälliger Vollgeschwisterpaarungen sind in der nachfolgenden Generation 1/16 der Jungtiere reinerbig für Allel 1. Es sind in der statistischen Erwartung auch jeweils 1/16 der Jungtiere reinerbig für die anderen drei Allele, damit insgesamt 4/16 oder ¼ bzw. die in der Formel von Wright gegebenen 0,250. Für die obige Diskussion der Inzuchtdepression fast noch bedeutsamer: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Jungtier der F2 ein Gen, z.B. das Gen 1 nicht hat, beträgt ein Viertel. Wenn zufällig für die Weiterzucht zwei solcher Jungtiere miteinander verpaart werden, dann ist in der Inzuchtline das Allel 1 verschwunden. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Zusammentreffens beträgt statistisch ¼ x ¼ = 1/16. Das erscheint gering, gilt aber auch für den endgültigen Verlust eines der anderen Allele und für andere Gene des gesamten Genoms. Es kommt über die Generationen zu einer Zunahme an Reinerbigkeit und, als andere Seite der Medaille, zu einem Verlust an Allelen in der Familie. Mit den Transferrin-Genotypen hat man Merkmale gefunden, bei denen das schädlich sein kann. Das wird nur die Spitze des Eisbergs sein.

Zum Nutzen der Inzuchtkoeffizienten

Die Berechnungen sind nicht vergleichbar mit der molekulargenetischen Analyse von Individuen, Abstammungen und Ähnlichkeiten innerhalb von Populationen. Diese waren zur Zeit Wrights nicht möglich und sind es für Taubenzüchter auch heute kaum. Bleibt der Koeffizient als ein leichter zu ermittelnder Anhaltspunkt. Die absoluten Zahlen sind für sich betrachtet nicht so wichtig, die Unterschiede bei unterschiedlichen Zuchtstrategien vielleicht umso mehr. Immerhin zeigen sie dem Anfänger, dass es besser ist, mit zwei Paaren eine Zucht zu beginnen als mit einem Paar. Der gemessene Inzuchtkoeffizient bei der Verpaarung von Geschwistern der Nachzucht aus nicht verwandten Eltern untereinander wird als 0,250 berechnet, bei einer erneuten Geschwisterpaarung steigt er auf 0,375. Sind Nachkommen eines anderen nicht verwandten Paares für die Querverpaarung vorhanden, sinkt der gemessene Koeffizient der Nachzucht der ersten Generation auf null, bei Querverpaarung steigt er in der zweiten auf moderatere 0,125 und eröffnet für einige Zeit die Möglichkeit einer weniger engen Verwandtschaftszucht. (AS)

Literatur:

Haase, Eberhard, Molekulargenetik und Brieftaubenzucht, Die Brieftaube Nr. 25 vom 26. Juni 2021, S. 6-10.

Sell, Critical Issues in Pigeon Breeding. What we know and what we believe to know, Part VI, Achim 2021

Sell, Pigeon Genetics. Applied Genetics in the Domestic Pigeon, Achim 2012

Sell, Taubenzucht. Möglichkeiten und Grenzen züchterischer Gestaltung, Achim 2019.

Wright, Sewall, Coefficients of Inbreeding and Relationships, The American Naturalist Vol. 56, No. 645 (Jul. - Aug., 1922), pp. 330-338.

Eine im Hinblick auf die Rassemerkmale rein gezüchtete Familie von Thüringer Weißlätzen


 

 

Defekte wie Schwimmfüßigkeit in einer Familie, die von Zeit zu Zeit bei Verwandtschaftszucht aufgedeckt wird. Die Schwimmfüße führen auch zur Verkrümmung der Zehenstellung

Inzuchtkoeffizienten nach Wright bei unterschiedlichen Paarungen. Quelle: Sell, Taubenzucht. Möglichkeiten und Grenzen züchterischer Gestaltung. Zucht und Vererbung in Theorie und Praxis, Achim 2019

IMG_4681 Ausschnitt

Unterschiedliche Inzuchtkoeffizienten. Im Hintergrund durch Fremdbefruchtung null, im Vordergrund wesentlich höher. Quelle: Sell, Taubenzucht, Achim 2019