Zuchttierbestandserfassung für Rassetauben
2022
Für ein längerfristiges Monitoring der
Entwicklung der Bestände und der Rasse- und Artenvielfalt im BRDG
stellt die Erfassung der Zuchttierbestände im BDRG über die Jahre
eine wertvolle Datengrundlage dar, selbst wenn sie lückenhaft ist.
Wie in der Studie einleitend ausgeführt, kann nur dargestellt
werden, was von den Vereinen bzw. Landesverbänden zugeliefert wird.
Einige Angaben wirken aus Vorjahren übernommen und fortgeschrieben.
Für Tauben bestätigt die Erhebung für 2022 das, was man von den
Ausstellungen kennt, die Dominanz einiger Rassen. Deutsche Modeneser
(7,4%), King-Tauben (4,1%), Strasser (3,3%), Deutsche Schautauben
(2,7%) und Luchstauben (2,4%) machten allein ein Fünftel der
gemeldeten 367.958 Zuchttiere aus. Die Prozentsätze mögen auf den
ersten Blick gering erscheinen, aber rund 350 Rassen teilen sich den
Rest.
Taubenrassen, Farbenschläge und
‚Spielarten‘, und ein Missverständnis
Dass die Färbung bei der Charakterisierung der
Rassen keine Bedeutung hat, hatte Harms schon 1939 in der Jenaischen
Zeitschrift für Naturwissenschaften betont. So sieht es auch die
offizielle Musterbeschreibung bei der Unterteilung der Rassen in
Farbenschläge. Abweichungen in der Federstruktur, wie
unterschiedliche Formen der Kappe neben den Glattköpfigen und
Fussbefiederung, werden bei sonst identischen Merkmalen und
Eigenschaften als Varianten der Rasse geführt und begründen keine
eigenständige Rasse (Sell 2009, S. 7-13). Das ist auch das Prinzip
der offiziellen Musterbeschreibung. In der Präsentation stehen sie
dennoch, optisch und auf der Gliederungsebene, gleichrangig
nebeneinander. Als wären es unterschiedliche Rassen.
Bei den Gimpeltauben sind in der alphabetischen
Anordnung auch Goldgimpel und Kupfergimpel getrennt wie
unterschiedliche Rassen. Genetisch sind es unterschiedliche
Farbenschläge, die sich durch den Pale-Faktor der Goldgimpel
unterscheiden. Eine Trennung vermittelt einen falschen Eindruck. Die
Unterscheidung der seltenen glattköpfigen Gimpeltauben von den
spitzkappigen hat schon in Vorjahren zu einem sachlichen Fehler
geführt. Bei Goldgimpeln stehen in der Statistik den gemeldeten 283
Paaren mit Spitzkappe 964 andere (und damit Glattköpfige) gegenüber.

Abb.
1: Gimpeltaube glattköpfig Kupfer-Schwarzflügel und spitzkappige
Gold-Schwarzflügel
Das ist auch kein ‚Dreher‘, sondern wohl ein
Verständnisfehler beim Ausfüllen der Meldungen. Glattköpfige sind so
selten, dass Außenstehende meist gar nicht wissen, dass es auch
glattköpfige Gimpel gibt. Bei den Kupfergimpeln wiederholt sich der
Fehler, der sich schon durch frühere Bestandserhebungen zieht.
Tauben sind keine Hühner
Die Darstellung der Ergebnisse ist für Groß-
und Wassergeflügel, Hühner, Zwerg-Hühner, Tauben etc. gleich
aufgemacht. Die Haltung in der Zucht ist aber unterschiedlich. Bei
Hühnern werden die Farbenschläge meist getrennt in Stämmen oder
kleinen Herden gehalten. Kreuzungen mit anderen Farbenschlägen sind
die Ausnahme. Einen gemeldeten Farbenschlag eines Züchters kann man
daher bei Hühnern aus züchterischer Perspektive als Zucht verstehen,
weil dahinter ein Stamm oder eine kleine Herde steht. Pro Zucht
waren es bei den Hühnern nach den Daten 9 Tiere. Darunter, nach
Angaben für einzelne Rassen zu vermuten, jeweils 1-2 Hähne im
jeweiligen Farbenschlag. Viele Zuchten bedeuten bei Hühnern
tendenziell viele Züchter. Bei paarweise gehaltenen Tauben sind im
Unterschied zu Hühnern Kreuzungen zwischen Farbenschlägen keine
Ausnahme. Wer einfarbig gelbe Tauben züchtet, hat meist automatisch
einige Einfarbig Rote dabei, damit die Färbung über die Generationen
nicht nachlässt. Auch Blaubindige, Blauhohlige und Blaugehämmerte
bilden in der Zucht sich ergänzende Farbenschläge. Blaufahl mit und
ohne Binden und Blaufahlgehämmert lassen sich leicht dazufügen. In
diesem Beispiel 1 Großfamilie und statistisch 6 gezählte Zuchten!
Unterschätzung des Gefährdungspotentials
einer Rasse und Überschätzung der Gefährdung seltener Farbenschläge
Wenn es nur noch einen Züchter der Rasse mit
den im Beispiel genannten sechs Farbenschlägen gibt, dann erscheinen
in der Statistik sechs Zuchten. Das klingt für den Fortbestand der
Rasse beruhigender als es ist. Mit diesem Züchter würden gleich
sechs Zuchten verschwinden, und mit ihnen auch die Rasse. Die
Seltenheit eines einzelnen Farbenschlages ist weniger
besorgniserregend. Statistisch besteht zum Beispiel eine Zucht im
Bericht 2022 aus einem einzigen blaufahlen glattfüßigen Gumbinner
Weißkopf-Weibchen.

Abb.
2: Gumbinner Taube im damals silberfahl genannten Farbenschlag in
einem Artikel in der Geflügel-Börse 1935, und Aufstellung der
Gumbinner in der Zuchttierbestandserfassung 2022. Jeweils 150 Täuber
und 150 Weibchen in 43 ‚Zuchten‘, oder besser ‚Nennungen bei
einzelnen Farbenschlägen‘.
Stärker gefährdet als die Rasse ist der
Farbenschlag dennoch nicht. Das Weibchen kann an Blaubindige und
andere verpaart werden und bleibt dem Genpool erhalten. Weitere
blaufahle Weibchen lassen sich aus ihren Söhnen in der nächsten
Generation ziehen. Kein Zufall, wie viele auch in Zuchtgremien
Verantwortliche denken mögen, sondern genetisch bestimmt. Seltene
Farbenschläge können auch bei geringer Anzahl im Zuchtverbund
erhalten bleiben und in kleiner Zahl ‚mitschwimmen‘.
Wenn man die Zahl der gemeldeten 43 Zuchten
glattfüßiger Gumbinner (Abb. 2) um Doppelzählungen bereinigte, wären
es möglicherweise nur noch 15. Für die Tauben insgesamt würden bei
Zuchten, verstanden als ‚Fortpflanzungsgemeinschaft‘, von den 37.500
in der Statistik möglicherweise nur 15.500 übrigbleiben, die bei
Hühnern genannte Zahl.
Genetische Aufklärung und Nutzung der
Komplementärfarben
Mit absehbaren Erschwernissen für große Zuchten
und bei abnehmenden Züchterzahlen werden Züchter verstärkt
Farbenschlägen und Rassen kreuzen müssen, allein um der
Inzuchtdepression entgegenzuwirken. Bei vielen Taubenzüchtern ist
Erfahrungswissen über das Verpaaren unterschiedlicher Farbenschläge
vorhanden und es wird reichlich davon Gebrauch gemacht.
In einigen Fällen ist es nicht nur sinnvoll, es
wird auch verlangt, dass Farbenschläge mit Komplementärfarben
verpaart werden. Dass auch hier mehr genetische Aufklärung nicht
schaden könnte, lässt sich auch aus der Zuchttiererfassung 2022 für
einige Rassen ablesen. Nach den ‚Hinweisen zur Zucht‘ des BDRG von
2011 sollen wegen genetischer Defekte bei reinerbigen Dominant Opal
und reinerbigen Täubern mit dem Stipper-Gen zwei Träger mit dem
jeweiligen Gen nicht miteinander verpaart werden. Beim Stipper-Gen
betrifft das u.a. die Farbenschläge Almond, Vielfarbene und
Sprenkel-Varianten. Eine der empfohlenen Paarungen ist in Abb. 3
gezeigt.

Abb.
3: Eine Möglichkeit der Nutzung der Komplementärfarben in der Zucht
Englischer Almonds (Quelle: Genetik der Taubenfärbungen)
Aus dem Zuchtpaar in Abb. 3 erhält man aus
einem Almondtäuber und einer Kite-Täubin vier unterschiedliche
Farbenschläge in der Nachzucht, die alle wieder in die Zucht
eingebracht werden können (Quelle: Sell, Genetik der
Taubenfärbungen, Achim 2015). An der Basis ist die Forderung nach
Einsatz der Komplementärfarben, aus der Zuchttierbestandserfassung
ablesbar, bei einigen Rassen offenkundig nicht angekommen.
Quellen:
https://www.bdrg.de/media/docs/22_12_31_Abschlussbericht.pdf
Harms, J. W., Untersuchungen über
Haustaubenrassen, Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft,
Zweiundsiebzigster Band. Neue Folge, fünfundsechzigster Band, Jena
1939, S. 3—75 und Tafeln 1-7.
Sell, Axel, Pigeon Genetics.
Applied Genetics in the Domestic Pigeon, Achim 2012.
Sell, Axel, Taubenrassen. Entstehung, Herkunft,
Verwandtschaften, Achim 2009, S. 7-13 zum Begriff ‚Taubenrassen‘.
Sell, Axel, Genetik der Taubenfärbungen, Achim
2015.
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