Taubenstandards und
Zuchtausrichtung: Short-Faced Tümmler und Long-Faced Tümmler bei
Englischen Tümmlern und bei Portugiesischen Tümmlern
Standards of Perfection and Development of Breeds:
Short and Long Faced English Tumblers and Portuguese Highfliers (see below)
Rassetaubenstandards sind aus praktischen Gründen sehr kurz gehalten. Das
hing anfangs alleine schon damit zusammen, dass die Anschaffung eines
Standards erschwinglich sein sollte, das bestimmte auch die Aufmachung
maßgeblich. Oft hat man allerdings den Eindruck, dass etwas
aussagekräftigere Ausführungen als Zuchtrichtlinie hilfreich wären.
Genauso oft hat man aber auch den Eindruck, dass der Standard ohnehin nur
ein wenig gebrauchtes Hintergrunddokument ist und nur in Teilen als
verbindlich betrachtet wird. Bei vielen Traditionsrassen erfolgt die
Weitergabe von Idealvorstellungen über das Aussehen der Tauben über die
Züchtergenerationen, die Schulung der nachfolgenden Generation erfolgt
durch Gespräche am Käfig und in den Zuchtanlagen und nicht durch Studium
der Musterbeschreibung. Immer wieder ist man im Gespräch überrascht, dass
der Gesprächspartner gar nicht über den geschriebenen Standard seiner
eigenen Rasse verfügt.
Manchmal scheint es für die Bewahrung einer Rasse auch ganz gut, wenn der
Standard nicht zur Hand genommen wird und man der Tradition vertraut. So
heißt es beim Englischen Short Faced Tümmler zur Position „Kopf“: „Relativ
groß und rund mit vollen Backen sowie breiter und steiler, möglichst
leicht vorgewölbter Stirn“ und zum Auge. „… große und ausdrucksvoll,
vorstehend und in der Mitte des Kopfes platziert“. Was ist die Mitte?
Darüber rätseln im anderen Zusammenhang Politikwissenschaftler, und auch
hier kommt man angesichts des Englischen Short Faced Tümmlers, im Bild
links, ins Grübeln.
Englischer Short Faced
Tümmler und Englischer Long Faced Tümmler und Portugiesischer Tümmler zum
Vergleich (Tiere ausgestellt auf der VDT Dez. 2011 in Leipzig).
Die Aussage zum Augensitz ist nach dem normalen Sprachverständnis kaum mit
dem Aussehen der Tiere im Käfig und in den Zeichnungen zu den
Musterbeschreibungen vereinbar und dürfte auf die schon englischsprachig
schwer interpretierbaren Vorlagen zurückgehen. Gemeint ist wahrscheinlich
in der Seitensicht zwischen oben und unten. Wo ist dann aber eindeutig
unten? Wenn die Preisrichter nach dem Wortlaut des Standards gerichtet
hätten, dann gäbe es die Rasse in der jetzigen Form sicherlich nicht mehr.
Die „Mitte“ findet sich auch in Musterbeschreibung der Long Faced Tümmler
wieder, Auge in der Mitte des Kopfes. Für die meisten auf den Schauen
gezeigten Long Faced Tümmler ist das auch noch nachvollziehbar, für die
Short Faced nicht. Erstaunlich bleibt, dass der für die Abgrenzung der
beiden Rassen entwicklungsgeschichtlich und aktuell wichtige Unterschied
zwischen Short-Faced und Long Faced im Standard überhaupt nicht
festgeschrieben ist. Schon überraschend, sind das doch sogar
Namensbestandteile der beiden Rassen!
Wie und wann sind die Bezeichnungen entstanden? In dem ältesten englischen
Taubenbuch von John Moore 1735 wird bei den Tümmlern nur allgemein von
kurzen Schnäbeln gesprochen. Einige Färbungen wie Almond werden bei den
Englischen Tümmlern als besonders interessant herausgehoben. Eine
Unterscheidung nach Gesichtslänge gibt es auch später in der Treatise von
1765 noch nicht. Eaton (1851) und Tegetmeier (1868) verwenden wohl als
erste in ihren Monographien über Tauben den Begriff „Short-Faced“. Bei
diesen sollte der Abstand zwischen Auge und Schnabelspitze so kurz wie
möglich sein, was gleichzeitig eine Zucht auf kurze Schnäbel und ein
kurzes „Gesicht“ als Abstand zwischen Auge und Schnabel erforderte.
Short-beaked, also kurzschnäblig, wenn auch nicht in einem extremen
Ausmaß, war damals die gesamte Tümmlergruppe, die in England auf Schauen
gezeigt wurde. Davon spalteten sich wahrscheinlich schon Anfang des 19.
Jahrhunderts Tümmler ab, die nicht nur einen kurzen Schnabel, sondern eben
auch einen kurzen Abstand zwischen Auge und Schnabel besaßen. Nach den
Recherchen Lyells (1881, S. 164 ff.) war das wohl Kreuzungen mit Mövchen
und indischen Goolees zu verdanken. Bei Fulton 1876 und Lyell 1881 wurden
die kurzschnäbligen Tümmler, die einen wie immer definierten „normalen“
Abstand zwischen Schnabel und Auge hatten, als Flugtümmler bezeichnet.
Fulton spricht mit Bezugnahme auf Eaton, 1851, beiläufig auch schon von
Long-Faced Tümmlern (S. 185). Ab Anfang des 20. Jahrhunderts wurde von
Züchtern, die diese Tiere für die Ausstellungen züchteten, verstärkt der
Begriff Long-Faced verwendet. Levi (1969, S. 198) nennt eine Quelle aus
dem Jahr 1904, in der von dem „Flying or Long Faced Tumbler“ berichtet
wird.
Deutlicher noch als in den Abbildungen in den alten Monographien wird der
Unterschied in amerikanischen Standardzeichnungen, von denen die des
Englischen Short Faced von Alex Rawson stammte. Solche, das
Charakteristische überbetonende Zeichnungen bestimmen die
Idealvorstellungen der Züchter wahrscheinlich stärker als geschriebene
Texte.
English
Short Faced und English Long Faced im Book of Pigeon Standards der
National Pigeon Assn., USA 1979
Die Bezeichnung „Long Faced“ ist entwicklungsgeschichtlich zu verstehen
und für nicht darin Eingeweihte im Zusammenhang mit dem Englischen Long
Faced eher verwirrend und unlogisch.
Wie im Bericht über die VDT-Schau in Leipzig
http://www.taubensell.de/vdt_leipzig2011.htm
im Dezember 2011 bereits ausgeführt, besteht nach Kreuzungen zwischen
Short- und Long-Faced Tümmlern, die immer wieder vorgenommen wurden und
werden, die Gefahr dass sich die Typen vermischen. Auch viele Züchter
scheinen sich der Unterschiede nicht voll bewußt zu sein. So zeigen
gelegentlich einige Short Faced ein relativ langes Gesicht, einige Long
Faced ein eher kurzes.
Nach einem informativen Artikel in Nr. 21/2011 der Geflügelbörse über die
erfolgreiche Verbesserung der dominant roten und dominant gelben
Portugiesischen Tümmlern durch Einkreuzung von Englischen Short Faced
Tümmlern kam es über einen Leserbrief zu einer kleine Diskussion über
Nutzen und Zweck von Kreuzungen mit anderen Rassen. Es werden
möglicherweise einige Rassemerkmale verbessert, es bleiben aber auch immer
Eigenschaften der Ursprungsrasse auf der Strecke. Der Schreiber des
Leserbriefes hatte wohl vor allem an das Verhalten und das Flugvermögen
gedacht, man kann den Gedanken aber auch auf das Erscheinungsbild
übertragen. Der Schnabeleinbau wurde wohl verbessert und die Stirnhöhe.
Was sich in den Bildern aber auch zeigt, aus dem Long-Faced Portugiesen
ist durch die von den Engländern übernommene Gesichtsverkürzung ein Short
Faced Portugiese oder zumindest ein Portugiese mit dieser Tendenz
geworden, und das, ohne dass es jemanden aufgefallen wäre! Die Schnäbel
sind tendenziell wohl auch eher verkürzt worden. Wenn von „Long-Faced
Portugiesen“ gesprochen wird, dann sind Tauben gemeint, die in den letzten
Jahren auf den Großschauen gezeigt wurden und, wie das oben abgebildete
Tier von der VDT-Schau in Leipzig 2011 und das in der Bildleiste links
gezeigte Tier, eine Gesichtslänge besitzen, die etwa den Proportionen bei
den Englischen Long-Faced Tümmlern entsprechen.
Köpfe von Portugiesischen Tümmler aus dem Buch „Vererbung bei Tauben“ 2004
und der durch Short-Faced Tümmler „veredelten“ Portugiesischen Tümmler
dominant gelb und dominant rot (Geflügel-Börse 21/2011)
Aufgrund der Tendenz oder auch des Zwanges zu kurzen Standards ist es kaum
überraschend, dass aus dem Standard für Portugiesische Tümmler nicht
direkt ersichtlich ist, ob man denn einen Short Faced oder einen Long
Faced Portugiesen bevorzugen sollte. Die Musterbeschreibung macht dazu
keine Aussage. Das ist allerdings auch nicht ungewöhnlich, denn Aussagen
zum Sitz der Augen finden sich fast in keinem Standard. Man geht wohl
davon aus, dass das Auge bei den Taubenrassen an der Stelle bleibt, an der
es rassegeschichtlich angesiedelt ist und – soweit es weitgehend dem
Wild-Typ entspricht - keiner besonderen Erwähnung bedarf.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass sowohl bei der Abfassung von
Standards als auch in der Wahrnehmung von Rassen der für das
Erscheinungsbild wesentlichen Frage vom Zusammenspiel von Gesichtslänge
als Abstand vom Auge zum Schnabel und Schnabellänge wenig Aufmerksamkeit
geschenkt wird. Die Bedeutung für das Erscheinungsbild von Rassen scheint
unterschätzt zu werden. Wenn man nur vier Längen der Schnäbel
unterscheidet, in der alten Klassifikation
1.
die
klassischen Kurzschnäbler wie Englische Short- und Long-Faced, Ungarische
und Prager Kurze, Altstämmer, Stettiner etc.,
2.
die
traditionellen Mittelschnäbler wie Märkische Elstern, Temeschburger
Schecken etc.,
3.
die
Normalschnäbler wie Danziger Hochflieger, Pommersche Schaukappen und
russische Hochflugrassen wie Griwun-Tümmler und
4.
die
Langschnäbler wie Berliner Lange, Deutsche und Polnische Langschnäblige
Tümmler, Englische Elstern etc.,
und dazu drei Gesichtslängen
1.
Short
Faced mit einer im Hinblick auf die Größe relativierten geringen Abstand
von Auge und Schnabel wie der Englische Short Faced
2.
Gesichtslänge des Wild-Typs wie der Englische Long Faced Tümmler, Kölner
Tümmler etc. und
3.
heutige
Tümmler mit langen Gesichtern, d.h. mit einer vom Wild-Typ nach oben
abweichenden Gesichtslänge, wie Berliner Lange, Deutsche und Polnische
Langschnäblige Tümmler,
dann ergeben sich daraus allein schon 12 unterschiedliche
Kombinationsmöglichkeiten, die den Tauben jeweils ein eigenständiges
Gepräge geben. Zwischentypen existieren aufgrund zum Teil fließender
Übergänge darüber hinaus. Die Extremfälle werden nach oben durch die
Langschnäbligen Tümmler mit langen Gesichtern und langen Schnäbeln und
nach unten durch die Englischen Short Faced mit kurzen Gesichtern und
kurzen Schnäbeln gegeben.
Deutscher
Langschnäbliger Tümmler (langschnäblig und langgesichtig), Englischer
Short Faced (kurzschnäblig und kurzgesichtig), Domestic Show Flight (langschnäblig
und Tendenz zum kurzen Gesicht)
In
der Mitte liegen viele Tümmlerrassen wie Kölner Tümmler und Pommersche
Schaukappen mit Schnäbeln sowie Gesichtslänge im Bereich des Wild-Typs.
Der Domestic Show Flight verkörpert mit relativ langem Schnabel und einem
relativ kurzem Gesicht eine der vielen interessanten
Kombinationsmöglichkeiten. Wenn man unterschiedlich große Tauben
miteinander vergleicht, dann kommt es für den optischen Eindruck auf die
relative Schnabellänge und auch Gesichtslänge an, worauf hier im Hinblick
auf mögliche weitere Untersuchungen und quantitative Messungen nur
hingewiesen werden soll.
Standards of Perfection and Development of Breeds: Short and Long Faced
English Tumblers and Portuguese Highfliers
English
Tumblers exist as Short Faced Tumblers and Long Faced Tumblers. One of the
great differences is the length of face. As still was pointed out by Levi
the term “Long Faced” is not accurate since the length of face is really
not long but medium. The term rather could be interpreted as not “short
faced” to distinguish the flying tumbler from the English Short Faced
Tumbler that is of the same origin, namely the flying tumbler with
moderate short beaks still described by Moore 1735. The term Short-Faced
was used by Tegetmeier 1868. Quoting Brent the “beak should be short,
small, straight, and tapering, measuring, from the eye to the end of the
quick of the beak, from five-eighths to three-quarters of an inch in
length, the shorter the better” (p 115). The measuring from the eye to the
end of the quick and the device to get birds as short as possible means to
breed for a short beak and a short face at the same time. The difference
between Short Faced and Long Faced Tumbler is best demonstrated by
American Standard drawings presented above. If we look at official
standards we will often be surprised that the main difference between
Short Faced and Long Faced is not recognized in the text. Thus e.g. in the
German Standard there is no hint on the short face of the Short Faced
Tumbler. That does not mean other standard conceptions, and over the
decades that also had no consequences for breeding and presenting the
birds at national and international shows.
Despite
several differences between Long Faced and Short Faced Tumblers both
breeds are crossed with each other to transfer specific properties to the
own breed. Thus it is not a great surprise that here and there Short Faced
Tumblers are presented lacking the short face and at the other hand Long
Faced with a rather short face. In an interesting article in the Journal
“Geflügel-Börse” no. 21/2011 information were given on the improvement of
Portuguese dominant red and dominant yellow Tumblers by outcrossing to
English Short Faced Tumblers. In a letter to the edition the danger of a
loss of traditional qualities of the own breed was pointed out. The writer
of that latter probably had in mind mainly flying and tumbling abilities,
but as the photos demonstrate there is also the danger involuntary to
change such properties like length of face and perhaps beak and to
transform the Portuguese to a Short Faced breed.
From the
written standards and also from discussion in the fancy we may get the
impression that there is little awareness in the community of pigeon
breeders that the combination of beak length and length of face is
fundamentally for the appearance. If we classify beak length into
1.
short beak (Ancient, English Short Faced, English Long Faced etc.),
2.
medium beak (Markish Magpies),
3.
Wild-Type (Cologne Tumbler, Pomeranian Eye Crested Highfliers,
Russian Tumblers like Griwun, etc.) and
4.
long beak (German Long-Beaked Tumblers, Polish Long Beaked
Tumblers, etc.)
and length
of face into
1.
Short Face (English Short Face)
2.
Wild-Type-length (English Long Face, Cologne Tumbler) and Tumblers
with
3.
Actual Long Face, far longer than the wild-type, really Long-Faced
like the German and Polish Long-Beaked Tumblers, English Magpies, etc.
we get 4 x
3 = 12 combinations.
At the
extreme we get the combination of extreme long face and long beak (German
and Polish Long-Beaked Tumblers, etc.) and at the other extreme the
English Short Faced Tumbler with a short face and a short beak.
Cologne
Tumblers are an example of the combination of a wild-type beak length
combined with a wild-type length of face. Domestic Show Flights are an
interesting example for a combination of a rather long beak and in respect
to face length the tendency to a short face. It should be self-evident
that for a comparison of different breeds that differ in size we have to
measure and understand length of beak and length of face in relation to
size.
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