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Farbvererbung bei Tauben – eine Wissenschaft für sich
Prof. Dr. Axel Sell

Fachforum im Rahmen der 119. LIPSIA-Schau und 64. VDT-Schau am 5. Dezember 2015

Färbungen in der Literatur und in den Standards

Färbungen bei Tauben werden schon von frühen Naturforschern wie Gessner 1557 in ihren Beschreibungen der Haustauben hervorgehoben.  Bei Marcus zum Lamm findet man um das Jahr 1600 Zeichnungen von Weißen, Roten und Schwarzen sowie Scheckungen als Farb-Weißkontraste. In den Prachtwerken der Taubenzucht vor 1900, wie bei  Prütz 1885, gibt es erste Standards für Taubenrassen, dort werden die häufigsten Farbenschläge aufgezählt. In den Vorformen der heutigen Musterbeschreibungen wie bei Schachtzabel (um 1910) ge­winnt die Nennung der Farben den Charakter einer ausschließlichen Farbpalette. Das trifft auch auf die von Ernst Schmidt 1926 im Verlag der Geflügel-Börse Leipzig herausgegebenen Musterbeschreibungen der Rassetauben zu. Seitdem beanspruchten der Bund Deutscher Geflügelzüchter (BDG), ab 1933 die Reichsfachgruppe mit der Fachschaft 'Rassegeflügel­zucht' und beansprucht ab 1949 der neu oder wiedergegründete Bund Deutscher Rassegeflügelzüchter (BDRG) als 'Hüter der Musterbeschreibungen' das Monopol zur Zulas­sung von Farbenschlä­gen. Durch den Bundeszuchtausschuss (BZA) erteilt er nach mehrmaligem Vorstellung als Neuzüch­tung eine Lizenz zum Ausstellen, oder auch nicht.

                               Taubenfärbungen.bmp        

Abb. 1: Grundlegende Quellen zu Taubenfärbungen

In den Musterbeschreibungen geht die Aneinanderreihung der Farbenschläge meist von den häufigsten Farbenschlägen aus. Das Fehlen einer systematischen Anordnung lässt erkennen, dass die  Forschung über die genetischen Beziehung der Farbenschläge zueinander erst am Anfang stand und die Rassetaubenzüchter nicht er­reicht hatte. So finden sich in den damali­gen Aussagen viele Ungereimtheiten, die in einigen Fällen bis heute fortwirken. Auch heutige Aufzählungen in den Musterbeschreibungen (MB) lassen aus genetischer Sicht kein klares System erkennen, wie am Beispiel der Deutschen Modeneser deutlich wird (Abb. 2).

 


Abb. 2: Farbenschläge bei Deutschen Modenesern in der MB von 2004

In der aktuellen MB (2014) werden auf der Homepage des SV einschließlich der Gazzi (Cover des Buches Taubenfärbungen in Abb. 1) 94 Farbenschläge aufgeführt.

Die Entschlüsselung der Taubenfärbungen im 20. Jahrhundert

Ähnlich verwirrend wie die Auflistung der Färbungen in den Musterbeschreibungen wird die Farbenvielfalt auf die Wissenschaftler um 1900 gewirkt haben. Forschung fand vor allem an amerikanischen Universitäten statt, publiziert wurde in den Wissenschaftszeitschriften wie Genetics, Journal of Heredity etc. Die wesentlichen Erkenntnisse wurden im Zeitraum von 1900 bis 1950 gewonnen und die Erkundung von Details dauert an. Es war eine große Lei­stung, diese Informationen in ein didaktisches Gedankengebäude zu bringen. Zu danken ist das vor allem Prof. W. F.  Hollander aus den USA, aber auch genetisch interessierten Züch­tern wie Joe Quinn und vielen anderen Hobbyforschern in den USA. Entscheidend für den Erfolg war die frühe Erkenntnis, dass ein Farbenschlag als das Ergebnis einer Kombination von Erbfaktoren betrachtet werden muss, die auf eine unterschiedliche Art auf die Färbung einwirken. Und es sind nicht Alternativen an einem Genort (Allele), sondern neben- und miteinander wirkende Faktoren. Das widerspricht nicht den Mendelschen Gesetzen, geht aber über die Bedingungen bei den Mendelschen Versuchen hinaus.

Die didaktische Aufbereitung

Für didaktische Zwecke ist eine Aufreihung von Farbenschlägen nach ihrer Häufigkeit nicht geeignet. Ein geeigneter Ausgangspunkt und das Fundament und der Bezugspunkt ist das Farbbild der blaubindigen Felsentaube. Daraus sind alle vorhandenen Farbenschläge durch Mutationen und später durch die Kombination der Mutationen entstanden. Aufgezeigt wird in den grundlegenden Büchern zur Farbgenetik und auch hier der Prozeß der Entstehung der Taubenfärbungen von den Anfängen der blaubindigen Felsentauben bis zur heutigen Vielfalt.  Nicht unbedingt so, wie er verlaufen ist - das weiß keiner ganz genau - sondern so, wie es gewesen sein könnte.

Am Anfang stand die blaue Felsentaube mit Binden (Abb. 3). Ihre Federn haben ganz überwiegend schwarzes Pigment. Die Zeichnungen wie die Binden und später die Hämmerungen auf dem Flügelschild sowie die dunklere Schwanzbinde sind durch eine stärkere Dichte von Pigmenten an bestimmten Stellen erklärbar. Entstanden sind diese Zeichnungsvarianten durch Mutationen, die das Interesse der damaligen Taubenhalter gefunden hatten und weiter vermehrt wurden.

 

Blau dunkel

 

 

 

 

 

 

 

 

Schautaube dunkel 117-1761_IMG.jpg

 

Blau dunkelgehämmert

Schautaube geh IMG_9650.jpg

 

Blaugehämmert

3 Zeichnung Hämmerung (Kölner Tümmler) 158-5840_IMG.jpg

 

Blau mit Binden

 

 

+

162-6275_IMG

 

Blau ohne Binden

162-6266_IMG

 

Grundfarbe schwarz

Abb. 3: Mutative Entstehung der Zeichnungen auf der Grundlage der blaubindigen Zeichnung

Die Färbung von schwarzen und blauen Tauben wird durch ein großes Übergewicht schwarzer Farbstoffe gegenüber roten hervorgerufen, es gibt mit geringem Anteil auch rote Farbstoffe. Umgekehrt ist es bei der roten 'Grundfarbe'. 'Braun' wird durch ein dazwischen liegendes Verhältnis von schwarzen und roten Pigmenten erzeugt (Haase u.a. 1992). 'Grund' im Wort 'Grundfarbe' bedeutet hier die Basis, das Fundament, auf dem die in der Taubenzucht verbreiteten Farbenschläge aufbauen. Optisch in Abb. 6 und 7 die Säulen über den Grundfarben. Auf dem 'Grund' der schwarzen Farbe entstehen die gezeichneten Farbenschläge wie Blau mit Binden, Blaugehämmert, usw. Auf dem Grund der roten Grundfarbe entsprechend Rotfahl mit und ohne Binden, Rotfahlgehämmert etc. Auf braunem Grund entstehen Braunfahl mit und ohne Binden, Braunfahlgehämmert, etc. Es ist ein didaktisches Konzept. Es erhält dadurch Berechtigung, dass alle Farbenschläge einen dieser Farbcodes im Erbgut besitzen und vererben. Der genetische Code für die Grundfarbe kann äußerlich durch andere Erbfaktoren überdeckt werden. Die Tauben besitzen ihn aber dennoch, was durch Kreuzungen mit Farbigen sichtbar gemacht werden kann. So besitzt auch jede weiße Tauben einen (oder bei Misch- oder synonym Spalterbigkeit auch zwei) dieser Farbcodes.

Mendelsche Gesetze zur Erklärung des Verhältnisses der einzelnen Erbfaktoren zueinander

An dieser Stelle kommt Mendel ins Spiel:  Mit den Mendelschen Gesetzen lässt sich die Verer­bung der Zeichnungen  erklären. Die Zeichnung (z.B. hohlig oder bindig) wird durch zwei Erbinformationen bestimmt. Eine kommt vom Vater, die andere von der Mutter. Wenn die Informationen unterschiedlich sind, wird sich die 'dominante' gegen die 'rezessive' durchsetzen. Wenn die Ausgangstiere reinerbig sind, wird die erste Generation einheitliche das dominante Gen anzeigen (Uniformitätsregel).

Blau mit Binden x Blau ohne Binden:

Aus der Verpaarung werden in der 1. Generation Blaue mit Binden fallen: Hohlig ist rezessiv.

Es gibt keine Mischung der Erbanlagen. Ein großer didaktischer Schritt war die Veranschauli­chung der Erbgänge im Punnett'schen Quadrat. Es zeigt etwas 'mechanisch', für unsere Zwecke aber ausreichend, die  Wanderung der Codes für die betreffende Erbanlage und die Kombination im Inneren der Felder bei den Jungtieren. Die grau hinterlegten Felder zeigen die Symbole c für das Gen 'hohlig' und + für den Wild-Typ Binden. Beide Anlagen sind unverän­dert vorhanden. Aber das rezessive Gen wird verdeckt.

                                               162-6275_IMG  162-6266_IMG 

 

Elternteil reinerbig hohlig ♀

c

c

Elternteil ♂  reinerbig  für Binden +

+

c//+

c//+

+

c//+

c//+

Abb. 4: Punnettsches Quadrat für das Beispiel der Verpaarung einer hohligen Täubin mit einem bindigen Täuber - Mendelsche Uniformitätsregel -

Die Anlagen spalten in späteren Generationen unverändert wieder heraus (Spaltungsregel), und man erhält in der 2. Generation zu einem Viertel das rezessive Erscheinungsbild (hier hohlig).

 

 

Spalterbig hohlig x spalterbig hohlig:

 

Elternteil mischerbig hohlig

c

+

Elternteil  mischer­big  hohlig

c

c//c

+//c

+

c//+

+//+

Abb. 5: Aufspaltung der ersten Generation in der zweiten und Wiederauftreten des rezessi­ven Gens im Erscheinungsbild - Mendelsche Spaltungsregel -

Mutation zur roten und zur braunen Grundfarbe

Aus Schwarz wird durch eine Mutation Rot (dominant Rot). 'Dominant', weil es sich bei Kreuzun­gen gegenüber dem Wild-Typ durchsetzt. Die Anlage liegt auf dem Geschlechtschromosom, was einige Besonderheiten in der Vererbung erklärt.  Der Erbgang lässt sich auch hier leicht durch ein, allerdings auf die Geschlechtsgebundenheit abgestelltes Punnettsches Quadrat nachverfolgen.

Wichtig für das Verständnis ist es zu erkennen, dass es keine eigenständigen Zeichnungen für die schwarze, aschrote und braune Grundfarbe gibt, sondern dass sich die identischen Erbfakto­ren der Zeichnung auf ähnliche Weise in unterschiedlicher Färbung (schwarz, aschrot, braun) bei allen drei Grundfarben auswirken. Wenn man das verinnerlicht hat, dann kann es in der Zuchtpraxis auch nicht mehr überraschen, dass die Zeichnungen problemlos von einer Grundfarbe auf eine andere übertragen werden können.

 

                        30 Pommersche Schauk blau P1110753.jpg 205 Pommersche rotfahl P1110849.jpg IMG_2354.JPG        

Blau dunkel

Rotfahl dunkel - 'dominant rot'

Braunfahl dunkel

Blau dunkelgehämmert

Rotfahl dunkelgehämmert

Braunfahl dunkelgehämmert

Blaugehämmert

Rotfahlgehämmert

Braunfahlgehämmert

Blau mit Binden

Rotfahl mit Binden

Braunfahl mit Binden

Blau ohne Binden

Rotfahl ohne Binden

Braunfahl ohne Binden

Grundfarbe schwarz

Grundfarbe rot

Grundfarbe braun

Abb. 6: Kombinatorische Vermehrung der Farbenschläge bei 3 Grundfarben und 5 Zeichnungen ( 3 x 5 = 15 Farbenschläge)

Alle diese Farbenschläge können miteinander verpaart werden, ohne dass eine Vermischung der Erbanlagen eintritt. Und man kann auch die Ergebnisse der Paarungen mit Hilfe der Punnettschen Quadrate leicht nachvollziehbar vorhersagen. Wenn wir einen rotfahlen Täuber mit einem blaugehämmerten Weibchen verpaaren, dann benötigen wir dazu ein Punnettsches Quadrat für die Zeichnungen (mit den Anlagen Hämmerung und Binden) und wir brauchen ein Quadrat für die Anlage der Grundfarbe (mit den Anlagen Dominant Rot und Schwarz). Im Ergebnis werden daraus bei reinerbigen Eltern Rotfahlgehämmerte entstehen, da die Hämmerung bei den Zeichnungen dominiert und (geschlechtsgebunden) die dominant rote Farbe über die schwarze. Man kann durch Kreuzungen leicht alle Zeichnungen auf die anderen Grundfarben übertragen.

Mutation zur Verdünnung der Pigmente

Die Zahl der Mutationen wird um eine vermehrt, Verdünnung oder englisch 'Dilution'. Sie bewirkt eine Verminderung der Pigmente in allen Farbenschlägen und verdoppelt das Farbspektrum.

Blau dunkel

Blaufahl dunkel

Rotfahl dunkel - 'dominant rot'

Gelbfahl dunkel - 'dom. gelb'

Braunfahl dunkel

Khakifahl dunkel

Blau dunkelgeh.

Blaufahl dunkelgeh.

Rotfahl dunkelgeh.

Gelbfahl dunkelgeh.

Braunfahl dunkelgeh.

Khakifahl dunkelgeh.

Blaugeh.

Blaufahlgeh.

Rotfahlgeh.

Gelbfahlgeh.

Braunfahlgeh.

Khakifahlgeh.

Blau mit Binden

Blaufahl m.B.

Rotfahl mit Binden

Gelbfahl m.B.

Braunfahl mit Binden

Khakifahl m.B.

Blau ohne Binden

Blaufahl o.B.

Rotfahl ohne Binden

Gelbfahl o.B.

Braunfahl ohne Binden

Khakifahl o.B.

Grundfarbe schwarz

Grundfarbe rot

Grundfarbe braun

Abb. 7: Kombinatorische Vermehrung der Farbenschläge bei 3 Grundfarben, 5 Zeichnungen und Verdünnt und Nicht-Verdünnt (3 x 5 x 2 =30)

 

Erweiterung des Gedankengebäudes in die Breite und Höhe

Wenn man das Konzept um die Bronzefarbenschläge der Modeneser  erweitern möchte, dann wird man keine Verdoppelung erleben, aber eine Erweiterung auf 56 Farbenschläge.  Bei rotem Pigment geht die Bronzefärbung der Zeichnung 'unter', kann sich gegen das Rot nicht durchsetzen, und bei den hohligen Zeichnungen kann der Bronzeton sich auch nicht zeigen. Es kommen daher 'nur' 26 Farbenschläge dazu. Wenn wir jetzt noch Gazzi (Strasserscheckung) und Schietti (Nicht-Gescheckt) unterscheiden, dann sind wir bei 112 Farbenschlägen.

Auch eine Erweiterung nach oben ist leicht in das Schaubild einzubauen. Der Farbausbreitungsfaktor überdeckt die Zeichnungen. Die Gruppe der Blauen (Blau ohne Bin­den etc.) wird durch den Faktor mit Nuancen einfarbig schwarz, in der verdünnten Form einfarbig Dun. Die Gruppe der Rotfahlen wird einfarbig aschfahl und in der Verdünnung einfarbig creme. Die Gruppe der Braunfahlen wird einfarbig braun und in der Verdünnung einfarbig khaki. Das Modell ist 'aus- und anbaufähig' wie eine Schrankwand.

Man kann noch 'einen darauf setzen', indem man das rezessive Rot  einbezieht. Dieser Fak­tor überdeckt die Grundfarben, die Zeichnungen und auch den Farbausbreitungsfaktor. Die Tauben werden braun-rot und in der Verdünnung gelb.  Wenn man das noch einmal 'top­pen' möchte, dass kann man das 'rezessive Weiß' als Abdeckung darüber setzen.

Rezessiv Weiß

 

Rez. Rot

Rez. Gelb

Rez. Rot

Rez. gelb

Rez. Rot

Rez. Gelb

 

 

 

 

 

 

Schwarz

Dun

Aschfahl

Creme

Braun

Khaki

 

 

 

 

 

 

Blau dunkel

Blaufahl dunkel

Rotfahl dunkel - 'dominant rot'

Gelbfahl dunkel - 'dom. gelb'

Braunfahl dunkel

Khakifahl dunkel

Blau dunkelgeh.

Blaufahl dunkelgeh.

Rotfahl dunkelgeh.

Gelbfahl dunkelgeh.

Braunfahl dunkelgeh.

Khakifahl dunkelgeh.

Blaugeh.

Blaufahlgeh.

Rotfahlgeh.

Gelbfahlgeh.

Braunfahlgeh.

Khakifahlgeh.

Blau mit Binden

Blaufahl m.B.

Rotfahl mit Binden

Gelbfahl m.B.

Braunfahl mit Binden

Khakifahl m.B.

Blau ohne Binden

Blaufahl o.B.

Rotfahl ohne Binden

Gelbfahl o.B.

Braunfahl ohne Binden

Khakifahl o.B.

Grundfarbe schwarz

Grundfarbe rot

Grundfarbe braun

Abb. 8: Kombinatorischer Effekt bei 3 Grundfarben, 5 Zeichnungen, 2 Verdünnungsstufen, epistatischem Farbausbreitungseffekt, epistatischem Rezessiv Rot und Rezessiv Weiß (3 x 5 x 2 = 30 Grundkombinationen und 9 weitere Farbenschläge)

Für alle genannten Farbenschläge ist der Code im Hinblick auf die Erbfaktoren bekannt: 3 Grundfarben, 5 Zeichnungen, 2 Intensivstufen, Rezessiv Rot und Rezessiv Weiß in Kombinationen. Man kann sie auch miteinander verpaaren, die reinen Farbenschläge werden nach Kreuzungen wieder auftauchen. Mischerbigkeit wird der erfahrene Züchter an kleineren Anzeichen (wie schwarze Tinten­flecke bei Täubern z.B. nach der Verpaarung von Rotfahl mit Blau) erkennen.

Molekulargenetische Erkenntnisse

In jüngerer Zeit wurden auch für Tauben verstärkt molekulargenetische Analysen vorgenom­men. Anhand von Blut, Federn u.a. kann man den genetischen 'Code' eines Individuums bestimmen, Verwandtschaften zwischen Individuen feststellen, Verwandtschaften von Ras­sen und Gemeinsamkeiten von Farbenschlägen erkennen. Neuere Untersuchungen bestäti­gen auf dieser Grundlage die oben dargestellten Erkenntnisse über die kombinatorischen und epistatischen Effekte beim Hervorbringen der Taubenfärbungen. Eine Studie, die auch in den wissenschaftsnahen Zeitschriften verbreitet wurde, erschien online in Current Biology Febr. 2014 (Domyan et al.). Beteiligt waren Wissenschaftler der University Utah, University of Texas at Arlington, University of Cincinnati College of Medicine und der Oregon Health & Science University in Portland. Der Titel des Artikels macht die Botschaft deutlich: Epistati­sche und kombinatorische Effekte sind für die Vielzahl der Taubenfärbungen verantwortlich. 'Epistatisch' zeigt sich in der Studie darin, dass das rezessive Rot bei Reinerbigkeit die drei Grundfarben Dominant Rot (Ash-red), die blauschwarze Grundfarbe (+) und Braun (b) verdeckt. Dazu auch den Farbausbreitungsfaktor. Unabhängig von der Grundfarbe erscheint ein Tier mit den Erbanlagen für rezessiv Rot einfarbig braun-rot, in der Verdünnung einfarbig gelb (die Tauben D und H in der rechten Spalte).

Epistatic photos.JPG

Abb. 9: Kombinatorischer und epistatischer Effekt (Do­myan et. al 2014)

Konsequenzen für das Anerkennungswesen

Wie bereits angemerkt, haben die Musterbeschreibungen mit den darin genannten Farbenschlägen eine bindende Wirkung. Was nicht genannt ist, darf nicht ausgestellt wer­den. Einige, aber zu wenig Sonderbestimmungen konnten im Zuge der Einführung der AOC-Klasse durchgesetzt werden. Das Monopol zur Lizenzerteilung für neue Farbenschläge beansprucht weiterhin der BDRG.

Dass Farbenschläge das Ergebnis der Kombination relativ weniger Mutationen sind, ist seit langem bekannt. Abb. 9  ist ein Ausschnitt aus dem Farbspektrum von Abb. 8 und eine molekulargenetische Bestätigung der aus der klassischen experimentellen Genetik bekannten Zuordnungen. Man kennt die epistatische Wirkung des Farbausbreitungsfaktors, des rezessiven Rot und auch des rezessiven Weiß. Man weiß, wie Zeichnungen vererbt werden, wie die Grundfarben sich zueinander verhalten, wie Verdünnt, wie Spread, wie das Rezessiv-Rot sowie Rezessiv Weiß vererbt werden.

Die meisten Farbenschläge stellen sich damit für erfahrene Züchter als 'Zwischenfarbenschläge' dar, die man durch Verpaarung der vorhandenen Farbenschläge beliebig erzeugen kann, wenn einer davon einmal verloren gehen sollte. Jeder, der sich et­was mit den genetischen Grundlagen der Taubenfärbung befasst hat, sollte wissen, dass man z.B. dunfarbene Weibchen schon in der ersten Generation aus einem blaufahlen Täuber und einer Schwar­zen und auch aus Rezessiv Gelb x Schwarz erhält. Dunfarbene Täuber kann man schon in der nächsten Verpaarungsfolge durch Rückpaarung an Blaufahl oder Gelb erwarten.

Stargarder gelb Tauben Aschersleben 2008 047.jpgStargarder schwarz.jpgStargarder dun Leipzig 2009 163.jpg

Abb. 10: Rezessiv gelber Täuber x schwarze Täubin = dunfarbene Jungweibchen

Warum der Farbenschlag Dun noch eine Lizenz über das Anerkennungsverfahren benötigt, um auf Ausstellungen gezeigt zu werden (aktuell Chinesentauben in dun und dungetigert auf der Lipsia 2015 unter den Neuzüchtungen), bleibt unerklärlich. Solche Chinesentauben hat der Verfasser schon vor drei Jahrzehnten bei einem Zuchtfreund gesehen und sie sind sicherlich auch in vielen anderen Zuchten angefallen, ohne dass von ihnen eine Gefahr für die Rasse ausgegangen wäre.

Die Anerkennungsprozedur ist Beschäftigungstherapie für die damit befassten Ausschüsse und obendrein noch kostenpflichtig - im Geschäftsleben würde man von einer mißbräuchlichen Ausnutzung eines Monopols sprechen. Vielleicht ist es nach der Bestätigung der genetischen Zusammenhänge durch die Molekulargenetik an der Zeit, der jetzt schon seit Jahrzehnten erhobenen Forderung nach Anerkennung der 'Zwischenfarbenschläge' nachzukommen.

Kompetenzen und mangelnde Kompetenz

Die formale Kompetenz über das Ausstellungswesen und die Aufklärung der Züchter über sachgerechte Geflügelzucht wird vom BDRG beansprucht. Das ist zunächst eine sehr unpersönliche Ebene. Oberstes Organ des Bundes ist die „Bundesversammlung“, so etwas wie das ‚Parlament‘ der Rassegeflügelzucht, die Abgeordneten der Rassegeflügelzüchter. Wie diese in der Politik sind sie letztlich gesetzgeberisch im Hinblick auf Satzungen etc. tätig. Die 'Abgeordneten' der deutsche Rassegeflügelzucht werden nicht direkt gewählt, sondern kommen zum größten Teil als Vertreter der Landesverbänden in ihre Funktion. Bei den Stimmrech­ten dominie­ren die Landesverbände die anderen Funktionsträger, die z.B. von den Sonderverbän­den wie dem Verband Deutscher Taubenzüchter (VDT) gestellt werden. Wegen der Gewichtung der Stimmen nach Mitgliederzahl sind vor allem die großen Landesverbände maßgebend. Konkret sind es LV-Vorsitzende und ihre Vertreter. Als Aufgaben des Bundes werden Beratung und Aufklärung über sachgerechte Rassegeflügelzucht, Tier- und Artenschutz, Standards, Ausstellung nach einheitlichen Bedingungen (AAB) und weitere in der Satzung genannt. Die Zuständigkeit betrifft damit direkt Neuzüchtungen und die Zulassung von Farbenschlägen zu Ausstellungen. Letztlich ist jedes individuelle Mitglied der Bundesversammlung mit verantwortlich dafür, was beschlossen wird, aber auch dafür, was an wichtigen Gegenwartsfragen mangels Interesse und/oder mangelnder Sachkompetenz nicht behandelt wird. Wenn die Möglichkeiten in der Organisation selbst zur sachgerechten Ordnung züchterischer Belange schon unterentwickelt sind, so stellt sich die Frage, wie die jetzige Organisationsstruktur und Zusammensetzung anderen Fragestellungen gerecht wird.

Ist die Farbvererbung eine Wissenschaft für sich?

Die Farbvererbung ist in dem Sinne eine Wissenschaft für sich, dass es eines tieferen Eindringens in die Materie bedarf, um die Vielfalt der Farbenschläge im Hinblick auf die beteiligten Erbfaktoren charakterisieren und Erkenntnisse praktisch umsetzen zu können. Sie ist in dem Sinne keine Wissenschaft für sich, dass sie auf  überprüfbaren Fakten beruht und die Vererbung den allgemeinen biologischen Vererbungsgesetzen folgt. Die Grundkenntnisse kann sich jeder anhand der verfügbaren Literatur aneignen. Viele Spitzenzüchter zeigen, dass etwas mehr Wissen über die genetischen Grundlagen nicht nur die Freude am Hobby erhöht, sondern auch zu Zuchterfolgen beitragen kann. Nicht in Vergessenheit geraten sollte auch, dass viele Taubenzüchter an der Entschlüsselung der Taubenfärbungen mitgewirkt haben. Auch heute gibt es offene Fragen, bei denen Taubenzüchter aufgerufen sind, zur Beantwortung beizutragen.

Literatur:

Doll, Paul, Chronik 125 Jahre Bund Deutscher Rassegeflügelzüchter e.V., Offenbach 2006.

Domyan et al., Epistatic and Combinatorial Effects of Pigmentary Gene Mutations in the Domes­tic Pigeon, Current Biology (2014), http://dx.doi.org/10.1016/j.cub. 2014.01.020.

Haase, E., S. Ito, A. Sell and K. Wakamatsu (1992), Melanin Concentrations in Feathers from Wild and Domestic Pigeons. Journal of Heredity, Vol. 83 (1), pp. 64-67.

Hollander, W.F., Origins and Excursions in Pigeon Genetic, Burrton , Kansas 1983.

Quinn, , J. W., The Pigeon Breeder's Notebook. An introduction to pigeon science, Atwater, Ohio 1971.

Sell, Axel und Jana, Taubenfärbungen. Colorations in the Domestic Pigeon, Reutlingen 2005.

Sell, Axel und Jana, Vererbung bei Tauben. Oertel & Spörer, Reutlingen 2007.

Sell, Axel, Genetik der Taubenfärbungen, Achim 2015.

Sell, Axel, Pigeon Genetics, Achim 2012.

www.taubensell.de.