Gimpeltauben – Archangel: Ursprung und
genetische Komposition
Genetics of the Gimpeltaube
Die genetischen Hintergründe der
Gimpeltaubenfärbung scheinen auf den ersten Blick unentwirrbar. Es kommen
bei einer von der Figur und Federstruktur sehr schlichten Taube so viele
Farbfaktoren zusammen wie bei sonst keiner anderen Rassetaube. Das kommt
schon in den Ausführungen von Tegetmeier in seinem Buch aus dem Jahr 1868
zum Ausdruck, in dem er den ehrenamtlichen Geschäftsführer der Nationalen
englischen Taubenzüchter Vereinigung, S. Betty, zitiert, der gesagt habe,
dass der in England Archangel genannte schwarzflügelige Gimpel eine der
wenigen Liebhaberrassen sei, die sich, ohne Abänderungen der Form oder der
Strukturen der Wildtaube, selbst dem anspruchsvollen Züchter durch ihre
extreme Schönheit und Neuheit ihrer Färbung empfehle und seine
Geschicklichkeit zum äußersten fordere, um die besonderen Merkmale zu
erhalten (S. 167).
Gimpeltaube
– gemönchter Kupferschwarzflügel
Über das Erscheinen in England weiß
Tegetmeier zu berichten, dass der bekannte Züchter Frank Redmond die
ersten Kupfergimpel in Ghent erworben habe, wo er 1839 für Sir John
Sebright Tauben erwerben sollte. Gesagt wurde ihm von den Händlern in
Ghent, dass die Tauben kürzlich aus Russland gekommen seien. Über den
englischen Namen „Archangel“ hat er sich auch Gedanken gemacht. Der Name
mag wirklich mit der von den Engländern vermuteten Herkunft aus Archangel,
einer Hafenstadt am Weißen Meer im hohen Norden Russlands, zusammenhängen.
Das macht die Entstehung oder auch nur Existenz in Russland bzw. Archangel
aber nicht wahrscheinlicher. Ein Korrespondent hat nach Tegetmeier in
Archangel nachgefragt, die Tauben seien dort aber unbekannt gewesen.
Archangel war der erste russische
Seehafen, über den ein direkter Handel mit England und anderen
westeuropäischen Staaten betrieben wurde und verdankt seine Bedeutung auch
dem Umstand, dass die direkten Handelswege zur damaligen Zeit durch die
Hanse blockiert waren. Wie Tauben historisch zum Teil zu ihren Namen
gekommen sind, das wird aus Ausführungen von Dixon deutlich, der 1851 als
erster im englischen Sprachraum über Gimpeltauben ausführlich berichtet.
So hat er in Great Yarmouth, eine englische Hafenstadt an der
Nordseeküste, große römerartige Tauben als „russische Carrier“ von
russischen Schiffen gekauft. Er wunderte sich über den Namen, denn wie
sollten sie Briefe überbringen, wenn sie sich selbst kaum durch die Luft
bewegen konnten. Interessant sein Hinweis auf den damaligen Außenhandel
Englands. Schiffe von Yarmouth gingen mit Hering beladen ins Mittelmeer
und die Levante. Nachdem sie dort ihre Fracht gegen Früchte, Öl, Makkaroni
etc. getauscht hatten, segelten sie oft direkt nach Russland, nach St.
Petersburg oder Archangel, ohne den Hafen Yarmouth noch einmal anzulaufen.
Aus Russland brachten sie Talg, Hanf, Felle und anderes nach Hause. Die
Seeleute aus Yarmouth würden gerne Tauben in mitteleuropäischen Häfen
kaufen und hätten auch Tiere an Bord (S. 95).
Es hätten dann auch keinen verwundern
können, wenn Gimpeltauben aus dem Mittelmeeraum über Archangel auf der
Rückfahrt über den Hafen Yarmouth direkt nach England gelangt wären. Auf
die gleiche Weise hätten Tauben auch nach Ghent gelangen können. Mit dem
Fund von Bälgen von Gimpeltauben aus den Jahren kurz nach 1800 im Museum
in Wien durch Heinrich Schröder dürften sich die Spekulationen über die
Heimat in Archangel ohnehin erledigt haben.
Zwei der Gimpeltaubenbälge aus dem Museum
wurden vom 11.-13. Juni 2010 auf der Sommertagung des Sondervereins in
Jonsdorf in einer Vitrine gezeigt und machten deutlich, dass die Rasse zur
damaligen Zeit schon in den Rassemerkmalen gefestigt existiert hat, wenn
natürlich nicht vergleichbar mit dem heutigen Zuchtstand.
In einem Vortrag „Genetik der Gimpeltaube“
wurde auf dem Treffen in Jonsdorf vom Verfasser aufgezeigt, welche
unterschiedlichen Erbfaktoren zusammenwirken, um die Farbenschläge der
Gimpeltauben hervorzubringen. Wichtig für die Analyse, Erklärung und damit
auch die Voraussage dessen, was bei Kreuzungen zwischen den Farbenschlägen
und bei Kreuzungen mit anderen Rassen herauskommt, ist eine gedankliche
Trennung der Faktorgruppen und eine zunächst isolierte Analyse der
Grundfarbe, der Zeichnungen, der Verdünnungs- und Verdunkelungsfaktoren
etc. Aus der allgemeinen Genetik und neueren Untersuchungen kennt man
inzwischen die wesentlichen Gesetzmäßigkeiten, so dass man zielgerichtet
züchten und Farbenschläge durch Kreuzungen verbessern kann.
Im Folgenden einige Auszüge aus dem
Vortrag. Die Power-Point-Folien sind auf der Homepage des SV der
Gimpeltaubenzüchter im Archiv nachzulesen www.gimpeltauben-online.de.
Was kreuze ich in dem nachfolgend
gezeigten Beispiel?
Kupferschwarzflügel
– spalterbig für Gold x Brieftaube mit Jungtieren der F1, links
1,0 kupfer, rechts 0,1 gold
Vordergründig wird ein Kupferschwarzflügel
mit einer hellblaugehämmerten Brieftaube gekreuzt. Analytisch betrachtet
werden gleichzeitig mehrere Kreuzungen vorgenommen:
·
Kupfergimpelbronze x
Nicht-Bronze
·
dunklere Hämmerung (Gimpel)
x leichte Hämmerung (Brieftaube)
·
Dunkelfaktoren für Schwingen
und Schwanz x Fehlen der Dunkelfaktoren
·
Smoky (Dunkelfaktor für das
Gefieder, Aufhellungsfaktor für den Schnabel) x Nicht-Smoky
·
extremer Grünglanzsaum x
normal
·
extreme
Orientierungsfähigkeit x normal
·
Spitzkappe x glattköpfig.
Was macht die Gimpeltaube aus?
n
Grundfarbe (Grundierung):
Schwarz bei Schwarz- und Blauflügeln und Brieftaubenrot bei Weißflügeln
(Brieftaubenrot geschlechtsgebunden dominant)
n
Bronzekörper: alle
Farbenschläge (bei Kreuzungen von Gimpeln untereinander kein Problem, da
bei allen vorhanden, sonst ein dominanter für das Körpergrundgefieder und
ein rezessiver, unterstützend für den Kopfbereich)
n
Zeichnung hohlig, bindig,
gehämmert: eine davon hat jeder Farbenschlag, Hämmerung dominiert über
Binden und diese dominiert über die hohlige Zeichnung
n
Verdunkelungsfaktoren für
Schild und Schwanz: nur bei Schwarzflügeln vorhanden, rezessive Faktoren
n
Goldfaktor (Pale):
Goldgimpel aller Farbenschläge, geschlechtsgebunden rezessiv
n
Grünglanz der Schwarzflügel:
dominant – intermediär
n
Rotglanz der Kupfergimpel:
dominant
n
„Hellglanz“ der Goldgimpel:
rezessiv
n
Weißflügelfaktor der
Weißflügel: in der ersten Generation uneinheitlich, zeigt sich bei
Rückpaarungen an Weißflügel sofort wieder
n
Rezessiv Rot: Der Faktor ist
bei vielen gut gefärbten Goldgimpeln vorhanden und zeigt sich in daraus
fallenden einfarbig Goldenen.
Kupferschwarzflügel,
Goldgimpel Weißflügel, Goldgimpel Blauflügel ohne Binden
Addendum
23.01.2011
Die für den Bronzekörper einschließlich Kopf wesentlich verantwortlichen
Erbfaktoren wurden in der russischsprachigen Broschüre "Genetik der Taube"
mit den Symbolen Ka1 für den Körpergrund als dominanter Faktor und ka2 als
für die daran anschließende Kopffärbung symbolisiert. Beide Faktoren
zusammen bewirken in Reinerbigkeit die typische bronze Gimpeltaubenfärbung
mit schwarzen bzw. blauen Flügeln und fast schwarzen bzw. blauen
Schwänzen. Sie sind keine Allele. Siehe auch die Beiträge auf der Homepage
vom 22.3.1008 und 24.7.2008.
Genetics of the Gimpeltaube
The Gimpeltaube or Archangel,
the English name of the blackwing variety of the Gimpel, is considered one
of the most beautiful but also challenging breeds in the fancy.
According to Tegetmeier in
his book “Pigeons” the first Archangels were imported in England from
Ghent in 1839 with the hint of the pigeon trader that they were imported
from Russia. Tegetmeier was informed by a correspondent that he sent
expressly to Archangel for these birds, but they were unknown in that
locality (p. 168f.). From Dixon 1851 we could learn how some pigeon breeds
got their name. At the harbour at Great Yarmouth (at the North Sea) he
e.g. purchased some Runts as “Russian Carriers” and wonders how they
should carry letters when they could hardly carry themselves through the
air (p. 94). Even more interesting are his notes in respect to the ship
routes. Vessels from Yarmouth regularly shipped red herrings to the
Mediterranean and the Levant and having exchanged their cargoes for fruit,
oil etc. frequently sail thence direct to Russia – to St. Petersburg or
Archangel, without touching port of Yarmouth. From Russia they returned
home with tallow, hemp, hides etc. The Yarmouth sailors were very fond of
buying pigeons in the Mediterranean ports, and they are great pets at
ships (p. 95). Thus it would even have been possible to import Archangels
from the Mediterranean via Archangel to England. In a similar manner the
Gimpel from Ghent might have come to Ghent. Speculations about the origin
of Archangels from Russia definitely have been disproved by the discovery
of Gimpel from 1817 and before in the “Naturhistorische Museum” Vienna.
The breed at that time was established in the main characteristics and
obviously available in Middle Europe before the import to England took
place.
At the annual meeting of the
Cub of the Gimpeltaubenzüchter that now exists for 100 years the author
presented some findings on the genetics of the Gimpeltaube with the main
message that we have to analyse the different characteristics separately,
e.g. the sex linked dominant red colour of the white-wings in contrast to
the black colour of the others, the sex-linked inheritance of gold (Light
Bronze), the different pattern etc. With this knowledge in the background
it is not too complicated to improve the different colours by crossing.
Addendum 23.01.2011
In the author' booklet "Genetics of the Domestic
Pigeon" ('Genetik der Taube' in Russian language) two non-allelic factors
are considered responsible for the bronze colour of body and head. The
first one is responsible for the bronze body and a dominant one,
symbolized Ka1. The second one, responsible for the bronze head seems to
act recessive, symbolized ka2. Both factors acting together produce the "gimpel-effect"
with the contrast of wing and tail colour and the remaining plumage.
Additional information are give in the reports at this homepage 24th of
July 2008 and 22nd of March 2008.
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