Vielzehigkeit (Polydactylie) bei Tauben
Polydactyly (py) in the
Domestic Pigeon (see below)
Mitunter rätseln Taubenzüchter, warum in ihrer Rasse oder in ihrem Stamm
die Schlupfergebnisse und Aufzuchterfolge im Vergleich zu anderen Rassen
und Zuchten so gering sind. Mitunter beginnen Jungtiere nach dem Absetzen
nicht selbständig zu fressen und zu trinken. Es gibt regelmäßig einige
Jungtiere, die nicht von selbst die angebotene Tränke finden, was man nach
ein oder zwei Tagen am lustlosen Herumhocken und „Blinzeln“ mit den
Augenlidern erkennt. Das letztgenannte Problem kann man meist leicht
beheben, indem man den Schnabel des Jungtieres in die Tränke taucht. Man
ist überrascht, wie intensiv ein Jungtier das Wasser aufsaugt und nach dem
erstmaligen Kontakt mit dem Tränke wieder das Wasser sucht. Mitunter hilft
auch das nicht. Dann hat man es mit einer erblichen Blindheit zu tun, die
in Zuchten weiter verbreitet zu sein scheint als allgemein bekannt ist.
Mitunter sind allerdings schon die Schlupfergebnisse schlecht. Auch das
kann viele Gründe haben und muss nicht an „den fehlenden Vitaminen“
liegen, die in der Folge oft ohne erkennbare Wirkung dazu gefüttert
werden. Es liegt vielfach an Erbkrankheiten wie Achondroplasia oder dem
letalen Schwimmfuß, taucht aber z.B. auch in der Zucht dominant
opalfarbenen Tauben regelmäßig auf, wenn zwei Merkmalsträger miteinander
verpaart werden. Achondroplasia zeigen verkürzte Gliedmaßen und einen
verkürzten Schnabel. Die Aufnahme des Skeletts auf dem beigefügten Foto
verdanken wir W.F. Hollander, der Eier mit nicht geschlüpften Jungtieren
untersucht und dokumentiert hat.
Schlechte Schlupfergebnisse sind auch von der erblichen Vielzehigkeit (Polydactylie)
bekannt. Die meisten Jungtiere schlüpfen hier aber noch, bleiben in der
Entwicklung aber schnell hinter dem Nestpartner zurück und werden aus dem
Bestand genommen. Meist ohne eine gründliche Inspektion, bei der man eine
weitere Besonderheit hätte feststellen können, nämlich ein oder beidseitig
mehr als die normalen vier Zehen an jedem Fuß.
Polydactilie bei einer Jungtaube (links)
und Achondroplasia (rechts) (Fotos wurden mit freundlicher Genehmigung von
W.F. Hollander abgedruckt im Buch des Verfassers „Zucht und Vererbung“)
An dieser Stelle wird über die Erscheinung berichtet, weil diese und
ähnliche Probleme in sehr vielen Zuchten vorhanden sein dürften und an dem
jüngsten Auftreten in einer Zucht von Ausstellungstauben wieder einmal
deutlich wird, dass es sich um keine abstrakte theoretische Diskussion
handelt, sondern um ein praktisches Problem, mit dem ein Züchter
verantwortungsvoll umgehen muss.
Einen ersten umfassenden Bericht über Vielzehigkeit bei Tauben hat W.F.
Hollander zusammen mit
W.M. Levi schon 1942
im Journal of Heredity gegeben. Dort wurden 25 Tiere in vier Klassen nach
Art und Schweregrad der Betroffenheit eingeteilt. Das erste Tier dieser
Familie wurde bei einem Paar braunfahler (silver) Nutzkings auf der
Palmetto Pigeon Plant in den USA 1939 gefunden. Später tauchten in dieser
Taubenfarm mehrere betroffene Jungtiere auch bei anderen Paaren auf.
Keines der Tiere überlebte trotz aller Bemühungen bis zur
Geschlechtsreife. Die Tauben hatten nicht nur Extrazehen, manchmal mehr
als einen, sondern auch zusätzliche Schwingenansätze (wing digits), eine
defekte Gefiederstruktur, einen verkürzten Oberschnabel und zu viel
Gewicht (over-fatness). Sie waren zudem blind, wenn die Augen auch keine
Defekte anzuzeigen schienen.
Jungtiere, bei denen nach dem Schlupf darauf geachtet wurde, waren kurz
bedunt (Hollander/Levi
1942). Mit Hilfe der Stammbäume konnte die Quelle des Merkmals ausfindig
gemacht werden. Die Tauben stammten aus wenigen Paaren, die von einer
anderen Taubenfarm bezogen worden waren. Das Merkmal zeigte sich aber noch
nicht in deren Nachzucht, sondern erst in der dritten und vierten
Generation. Anhand des Stammbaumes wurde einer der Ausgangstäuber als
potentieller Träger des Gens identifiziert, das in späteren Generationen
reinerbig aufgetreten ist und die Vielzehigkeit ausgelöst hat.
Testpaarungen bestätigten, dass es sich um ein nicht geschlechtsgebundenes
rezessives Merkmal handelte. Als Symbol wurde py gewählt (Hollander/Levi
1942).
Eine ähnliche, aber weniger anormale Form als py wurde später in einem
Bestand aus Kreuzungstieren von weißen Ausstellungscarneau und weißen
Ausstellungsking gefunden. Genetisch war es ein anderer aber auch
rezessiver Typ, denn aus Kreuzungen der beiden Formen fielen nur normale
Jungtiere (Hollander 1983).
Eine bei Ausstellungs-Kingtauben (Show King) um 1950 entdeckte Variante
erhielt das Symbol skpy. Der Vitalitätsverlust bei diesem Typ war oder ist
oft gering, denn Hollander
(1983) berichtete, dass Züchter einen kleinen Doppelzeh einfach
abschnitten und solche Tiere ausstellten und verkauften. Ähnliche Formen
sind bei Modena und anderen Rassen aufgetaucht. Über weitere Typen wurde
an anderer Stelle berichtet.
Über eine mit der Beschreibung der ersten Form übereinstimmende Nachzucht
wurde kürzlich auch aus einer deutschen Zucht berichtet. Neben zwei
normalen Jungtieren gab es ein abgestorbenes Ei, unbefruchtete Eier und
zwei „problematische“ Jungtiere, von denen das erste mit
Gefiederproblemen, Verhärtungen des Schnabels, Anschwellen der Läufe etc.
ohne genauere Untersuchung aus dem Bestand genommen wurde. Das zweite
Problemtier zeigte ähnliche Symptome und an beiden Füßen wurde eine
gespaltene Hinterzehe gefunden (siehe Bild), das Tier war aber nicht
blind, reagierte auf Reize.
Vielzehigkeit bei einem Jungtier (Fotos:
privat)
Von der Erscheinung und den Begleiterscheinungen her könnte die
Erscheinung identisch mit der ursprünglichen Form der Vielzehigkeit sein,
zu vermuten ist auch hier ein rezessives Erbverhalten. Für die Zucht
bedeutet das, dass beide Elternteile das Gen py im Erbgut besitzen und in
der Zucht nicht weiter eingesetzt werden sollten. Auch die normal
erscheinenden Jungtiere aus einem solchen Paar sind mit hoher
Wahrscheinlichkeit (zu zwei Dritteln) Träger des Merkmals und werden es in
die nächste Generation weitertragen. Wenn sie an einen Partner gesetzt
werden, der frei von py ist, dann wird das zunächst noch nicht einmal
auffallen. Der Züchter wird es erst bemerken, wenn wiederum aus
nachfolgenden Generationen zufällig zwei Träger dieses Gens miteinander
verpaart werden.
Was kann man als Züchter beim Auftreten dieser Erscheinungen machen? Wie
Hollander für die schwere
Form der Vielzehigkeit gezeigt hat, sind Stammbäume eine große Hilfe
dabei, den Ursprung des Merkmals zu finden. Oft ist die Quelle ein
zugekauftes Tier, das der Züchter vielleicht gerade zur Steigerung der
Vitalität des eigenen Stammes eingeführt hat und mit dem das Gegenteil
erreicht wurde. „Neue Gene sind nicht automatisch gute Gene“, könnte man
schlagwortartig sagen. Wenn die Quelle durch die Analyse der Stammbäume
erkennbar wird, dann kann man auch potentielle Träger des Gens
herausfiltern und aus der Zucht ausschließen. Träger des Gens sind beide
Elternteile. Aus beiden sollte nicht mehr gezogen werden. Wenn die
Erscheinung in der Zucht rechtzeitig entdeckt wird, dann kann man sie auch
schnell beseitigen, bevor sie sich im gesamten Bestand etabliert. Das traf
im aktuellen Fall zu.
Eine Umpaarung, bei vielen Züchtern bei ähnlichen Erscheinungen nach
Einschätzung des Autors die häufigste Reaktion, verlagert das Problem in
die Zukunft und löst es nicht, es wird eine „Zeitbombe“ gelegt, die später
in der eigenen Zucht oder in anderen Zuchten, die Tiere aus der Linie
erhalten haben, hochgeht:
·
Mit einem anderen Partner, der das Gen nicht trägt, wird man
kein Jungtier mit dieser Erscheinung erhalten,
·
aber 50% der Jungtiere dieser neuen Verpaarung werden Träger
des Merkmals sein,
·
und wenn aus der Nachzucht zwei Träger des Merkmals verpaart
werden, werden wieder vielzehige Jungtiere anfallen.
Auch zwei Drittel der vermeintlich gesunden Geschwister vielzehiger Tiere
sind statistisch gesehen Träger des Gens. Wenn die Quelle nicht
identifiziert werden kann, dann sollten zumindest Eltern vielzehiger Tiere
nicht in der Zucht verwendet werden, auch nicht die „normalen“ Geschwister
von Vielzehigen. Ein Ausmendeln solcher Merkmale durch Austesten
potentieller Zuchttiere ist möglich, aber auch sehr aufwendig.
Polydactyly (py) in the Domestic Pigeon
Pigeon keepers often puzzle over the poor performance
of their stock in the breeding pen. Chickens fail to hatch and those who
hatch often fail to develop and often die in the first days. Some after
having become fledged fail to eat and drink. Fanciers often trace the
phenomena back to a vitamin deficiency, few of them think at genetic
defects. In pigeons several genes were identified that are connected with
such problems. Thus e.g. achondroplasia (ac) is a lethal factor which
prevents the hatching of homozygous birds. Web-Lethal is another trait
with the same complication, homozygous Dominant Opals that occur regularly
from a mating of two dominant opal birds also do not hatch. Problems to
eat and drink after fledging more often than pigeon fanciers believe have
to do with sight defects up to complete blindness.
Polydactyly is discussed here because recently the
characteristic was reported from a German loft of show birds and the trait
probably is more spread in the breeds than is assumed by most observers.
Polydactyly may cause both problems, namely to prevent hatching and, in
the case the chicken hatch, the early death after some days or weeks. The
main effects of polydactyly (py) are extra hind toes and reduced vigour of
the birds. One of the first polydactyl squab analyzed was found in 1939 at
the Palmetto Pigeon Plant in silver (brown bar) King. An early report
covering 25 birds was given by
Hollander and Levi
1942. None of the birds observed lived to maturity, and besides extra toes
“extra wing digits, defective plumage structure, undershot beak, and
over-fatness” are reported (Hollander 1983, p. 97). The birds were blind
without any obvious eye defects. Now a similar description is given in
2011 from a German loft for two ash-yellow young. Besides two normal
young, non-fertilized eggs and a young that failed to hatch the couple
produced two affected young. The first had the typical growth problems and
defective feather structure, but the fancier was not quite sure about the
extra toes. The second one seems to have problem to stand, prefers to hock
down. The bird had feather defects, but not as severe as the first one,
and double-toes at both sides. The bird was not blind. From the genetic
analysis of polydactyly we may assume a recessive inheritance as was
demonstrated for py and several other types of polydactyly with a lower
degree of side effects.
The elimination of polydactyly from a stock is not easy
but nevertheless should be tried using the information from the pedigrees.
Since the trait is not sex-linked, both parents carry the trait. Also from
the normal young of such a couple statistically two third will carry the
trait and will transfer it to the coming generations. Thus also such birds
should not be used in the breeding pen. If we know from the pedigree the
source of the trait, possibly the first common ancestor in the pedigree,
it would be consequent to eliminate the specific line of related birds to
get rid of it. We should be also aware that a simple rearranging of the
couple with the affected young will not solve the problem. This will only
postpone the problem since 50% of the young with an unaffected partner
will also carry the trait. Those young will serve as a “time bomb” in the
own loft or of fanciers who buy such a bird, because the characteristic
will pop out again when two carriers of the trait will be matched.
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