Die
Felsentaubenabbildungen aus Ägypten um 1350 vor Christie in Tell El
Amarna
In seinem
kunsthistorischen Buch über die Geschichte und das Ansehen der Taube
über die Jahrtausende geht Daniel Haag-Wackernagel 1998 auch auf die
Taubenhaltung im alten Ägypten ein. Mit Bezug auf die Monographie
von H. Frankfort (1929) behandelt er ausführlich die in den 1920er
Jahren entdeckten frühen Felsentaubenabbildungen aus dem Grünen
Zimmer des Nordpalastes von Tell El Amarna (Abb. 1). Diese haben in
jüngster Zeit erneut Aufmerksamkeit auf sich gezogen (Stimpson/Kemp
2022) und einige Abbildungen scheinen in Details gegenüber den
ersten Zeichnungen verändert.
Erbau und
Zerstörung
Erbaut wurde Amarna
als neue Hauptstadt am Ostufer des Nils um 1350 vor Christie vom
Herrscher Echnaton. Es lag auf halbem Wege zwischen den früheren
Hauptstädten Memphis und Theben (Abb. 2). Kurz danach von seinem
Nachfolger zerstört, der aus religiösen Gründen den Namen Echnaton
aus der Geschichte tilgen wollte. Das Zimmer und die Darstellungen
wurden erst in den 1920er Jahren entdeckt. Die Ruinen wurden teil
als Baumaterial anderswo verwendet und teils überbaut. Erste
Ausgrabungen erfolgten 1925, die Auswertungen aus Sorge vor weiterer
Zerstörung in Eile im Jahr 1926 begonnen (N. de Garis Davies im
Kapitel über die Bilder im Sammelband 1929).
Konnte es
Felsentauben in abgelegenen Regionen geben
In einem Blog im
Januar 2023 (https://www.atlasobscura.com/) greift Shoshi Parks die
Studie von Stipson/Kemp auf und geht der Frage nach, ob sich
angesichts der damaligen Ferne des Standortes Felsentauben überhaupt
hätten ansiedeln können. Die Frage und die Ausführungen dazu können
den falschen Eindruck erwecken, dass die Felsentaube von Tauben in
den Taubentürmen abstammen und nicht umgekehrt. Die Felsentaube hat
schon existiert, bevor die Verstädterung begann. Wann die
Domestikation der Felsentaube begann, ist nicht geklärt. Angenommen
wird, dass in pharaonischer Zeit auch schon andere Taubenarten
gehalten und domestiziert wurden (Ingrid Bohms 2024, S. 622). In der
Nähe des Grünen Zimmers wurden Gärten vermutet und Volieren. Die
Bestückung der Volieren könnte auch aus anderen Regionen stammen.
Die unnatürliche Dekoration, Tauben in einem Papyrus-Dickicht, wird
schon 1929 thematisiert und auch bei Stimpson/Kempt der
künstlerischen Freiheit zugeschrieben.
Unnatürliche
Darstellung der Schwänze und Schwungfedern
Thematisiert werden
die unnatürliche Schwanzform und die nach oben abstehenden Schwingen
der Felsentauben. Frankfort als Herausgeber der Monographie weist
schon darauf hin, dass in den Zeichnungen der Körper von der
Seitenperspektive und der Schwanz sowie teilweise die Schwingen von
oben erfasst sind (S. 17). Eine Vermutung ist, dass der Zeichner
durch die atypische Flügelhaltung Unruhe und Wildheit der Tiere
Ausdruck geben wollte. Dafür spricht, dass auch andere Vogelarten in
der Darstellung diese ‚Marotte‘ aufweisen. So auch im Kapitel über
die Zeichnungen des Nordpalastes von N. de Garis Davies angemerkt
(S. 58 ff.).
Fehlen der
Schwanzbinde bei den Felsentauben als typisches Merkmal
Haag-Wackernagel
ordnet die blau gezeichneten Tauben, wie die anderen Autoren, als
Felsentauben ein. Eine im Schild durch über die Binden
hinausreichende Hämmerungsflecken als Gehämmerte (Abb. 1). Bilder
und Einschätzungen wurden im Buch ‚Taubenrassen‘ 2009 übernommen.
Dort wird auch auf ein anderes für die Felsentaube als Wild-Typ der
Haustaube untypisches Merkmal hingewiesen. Auf dem Schwanz fehlt
durchgehend als Abschluss die schwarze Schwanzbinde. Als Mutation
aufgetreten gibt es das inzwischen auch bei einigen Haustauben. Es
ist aber nicht anzunehmen, dass es solche Mutationen zu der Zeit
gegeben hat. Wahrscheinlich ein Fehler des Künstlers oder dem
Verfall und der Restauration geschuldet.
Die Restauration
vorher und nachher
Zum Zustand der
Funde nimmt Garis Davies ausführlich Stellung. „Als ich die Gemälde
im Februar 1926 nach ihrer zweiten Ausgrabung sah, waren sie in
einem sehr schlechten Erhaltungszustand. Dies lag weniger an
Farbverlust, obwohl dieser durch jene Art von Rotrost, der die
Oberfläche des von späteren ägyptischen Künstlern verwendeten grünen
Pigments verkrustet, stark nachgedunkelt war, als vielmehr an ihrer
mangelnden Haftung an den Wänden. Der Lehmputz, auf den die Farbe
direkt aufgetragen wurde, war so stark von Termiten durchsetzt, dass
er fast ausschließlich aus deren Exkrementen bestand. Der Farbfilm
haftete stellenweise so leicht an der Wand, dass er bei Berührung
abfiel. …
Der linke Teil der
Westwand war einst durch einen Brand schwer beschädigt worden, und
das Motiv konnte hier nur durch Abwaschen des Rußes erhalten werden.
Die rechte Hälfte hingegen, obwohl sehr fehlerhaft, behielt ihre
Farben in einem Zustand, der dem Original nicht weit entfernt war,
abgesehen von einer gewissen Trübung und Vertiefung der Grüntöne…“
(S. 67/68).
Einfluss der
Restauration auf die Erhaltung des Ursprungs
Die hochstehenden
Schwingen dürften nichts mit der Restauration zu tun haben. Sie sind
bei den ersten Vorskizzen von Nina de Gary Davies in sw so zu sehen.
Im Schwanzbereich einiger Individuen könnte allerdings ein größerer
Teil des Farbfilms auf dem Putz oder der Lehmputz selbst abgeplatzt
sein, was eine Ergänzung mit zu breit angesetzten Schwänzen zur
Folge gehabt haben könnte. Durch Vermutungen ausgefüllte Lücken sind
in den s/w-Skizzen angezeigt. Der Zustand der meisten Zeichnungen
bei der Entdeckung war schlechter als man nach der Beschreibung und
nach Ergänzung einiger Lücken in den Vorskizzen vermuten konnte.
Zeit und Verfall könnten die für die Felsentaube typische schwarze
Schwanzbinde getilgt haben (Abb. 3-5 aus der Mitte der Ostwand).
Verfall und
Restauration könnten bei einer auf den ersten Blick taubenähnlichen
Abbildung in Tafel IV (Westwand) eine Rolle gespielt haben. Größe,
Schwanz und Schwingen wie die daneben abgebildeten Tauben, der Hals
länger. Der hinten breiter werdende längliche Körper, der längere
Hals und relativ lange Beine erscheinen für eine Taube
unproportioniert. In den zuerst angefertigten sw-Abzeichnungen von
Nina de Gary Davis das Schild gesäumt oder gehämmert, der Putz oder
Farbfilm im Schwanzbereich abgefallen (Abb. 6). Bei der Besprechung
der Bilder durch ihren Mann, N. de Gary Davies, zunächst wohl als
rötliche Turteltaube (S. 64), dann in einer Zeichnung als Würger (Shrike)
eingeordnet (Abb. 7).
Stimpson/Kemp nennen
Gründe, die für diese Interpretation sprechen können (S. 114).
Zweifel bleiben dennoch. Auch wenn Größenverzerrungen auf
ägyptischen Darstellungen nicht selten sind: Die Felsentaube hat
eine Länge von etwa 33 cm und ein Gewicht von etwa 330 g, der in der
Region vorkommende Taitawürger eine Länge von 22 cm und ein Gewicht
von etwa 50 g. Übernommen wurde in der farbigen Restauration der
rotbraune Rücken des Neuntöters (red backed shrike), der als
Zugvogel vorkommt, aber auch nur 16-18 cm lang ist (Wikipedia). In
der bei Stimpson/Kemp verwendeten Abbildung die Rückenfärbung
gewandelt zu einer bräunlichen Hämmerung (Abb. 8). Wann und warum
die Änderungen, ist nicht angemerkt. Damit in der Färbung des
Flügelschildes der ersten Vermutung von Gary Davies, einer
Turteltaube angenähert. Auch die Turteltaube ist kleiner als die
Felsentaube. Unabhängig von der Größe treffen Proportionen von
Körper, Beinen und Hals alle drei Arten nicht. Sie passen in der
s/w-Skizze eher zu einer Ente in ungewohnter Umgebung. Die
ursprüngliche s/w-Zeichnung des Vogels zeigt im Bereich des
Schwanzes Verluste des Farbfilms an der Mauerwand an. Das ist, wie
auch an anderen Stellen der Wände, durch vermutete Linienführungen
ersetzt worden. Der breite und in der Endfassung lange Schwanz
könnte in der Urfassung nicht dagewesen sein.
Literatur:
Bohms, Ingrid, Vögel
in der altägyptischen Literatur. Teilband 1. Ägyptologie LIT. LIT
Verlag Dr. W. Hopf Berlin 2024.
Frankfort, H. (editor),
The Mural Painting of El-ꞌAmarneh. Published by the Egypt
Exploration Society, London 1929.
Haag-Wackernagel,
Daniel, Die Taube. Vom heiligen Vogel der Liebesgöttin zur
Straßentaube, Basel 1998.
Sell, Axel,
Taubenrassen. Entstehung, Herkunft, Verwandtschaften. Faszination
Tauben durch die Jahrhunderte, Achim 2009.
Shoshi Parks, Did
Ancient Egypt Have a Pigeon Problem? More than 3,000 years
ago, the birds appeared in unexpected places. January 25, 2023.
Stimpson, Christopher/Barry J. Kemp,
Pigeons and papyrus at Amarna: the birds of the Green Room
revisited. Published online by Cambridge University Press: 15
December 2022. Volume 97 Issue 391.

Abb. 1: Ausgewählte
Felsentaubendarstellungen bei Haag-Wackernagel (1998) von der Ost-
und der Westwand. Eine als blaugehämmert, die andere als bindig
eingeordnet. Übernommen in Sell (2009). Original: Green Room Plate
II East Wall und Plate IV West Wall (Frankfort 1929).

Abb. 2: Amarna
östlich des Nils zwischen Memphis und Theben gelegen. Amarna Blau
eingezeichnet

Abb. 3:
Tauben nach der Restaurierung. Plate III,
Detail von Plate II: „Green Room,“ East-wall. Gezeichnet von Nina de
G. Davies

Abb. 4: Tauben in
s/w Zeichnung. Plate II „Green Room.“ Gezeichnet von Nina de G.
Davies

Abb. 5: Tauben
vor Reinigung und Restaurierung. Plate VIII: Detail von Plate II.
Abb. 6: Plate IV
„Green Room.“ West Wall, linke Seite. Zwei Tauben und rechts ein
Vogel in vergleichbarer Größe, in Plate V als ‚Würger‘
klassifiziert. Gezeichnet von Nina de Garis Davies

Abb. 7: Plate V:
Tauben und Shrike (Würger), Detail von Plate IV. Gezeichnet von Nina
de G. Davies.

Abb. 8: Taube und
Shrike (Würger) in der s/w-Skizze auf Plate IV, in Farbe auf Plate V
(aus der Publikation 1929). Darunter Auszug aus der von Stimpson/Kempt
2022 genutzten Version. |