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Emil Schachtzabel, Illustriertes Prachtwerk sämtlicher Tauben-Rassen, Würzburg 1910: Zur Angabe des Erscheinungsjahres in Büchern

Einige Verlage scheinen zu glauben, dass sich ihre Bücher länger aktuell erhalten, wenn sie kein Erscheinungsjahr haben. Als wäre mit dem Erscheinungsjahr ein Verfallsdatum vorprogrammiert. Auch das ‚Illustrierte Prachtwerk sämtlicher Taubenrassen‘ von Emil Schachtzabel enthält keine Jahresangabe, wie viele andere alte Bücher. Gedruckt und verlegt wurde es in der Königlichen Universitätsdruckerei H. Stürtz A.G. Würzburg.

Moebes gibt in seiner Bibliographie der Tauben von 1945 ‚etwa gegen 1911‘ als Erscheinungsdatum an. 1911 findet man auch bei Erich Müller (Die Welt der Rassetauben 1979). Levi gibt im Literaturverzeichnis des Buches ‚The Pigeon‘ das Jahr 1910 an, wie auch Paul Doll in der ‚Chronik 100 Jahre BDRG‘ von 1981. In der ‚Geschichte der Rassetaubenzucht in Deutschland‘ von 1995 nennt er allerdings 1909. 1910 erschien auch deshalb wahrscheinlich, weil das Buch im Januar 1911 in der ‚Zeitschrift für Gartenkunst und verwandte Gebiete‘ annonciert wurde (Abb. 1). Daher plausibel, dass es nicht zu lange davor veröffentlicht wurde und auch nicht später (Sell, Taubenrassen 2009). Sehr versteckt, und nicht durch den Namen des Autors gekennzeichnet, findet es sich dann auch unter den 1910 veröffentlichten Büchern im Börsenblatt des deutschen Buchhandels.

Abb. 1: Anzeige in der ‚Zeitschrift für Gartenkunst und verwandte Gebiete‘ Januar 1911

Jüngere Angebote des Buches von Antiquaren und Privaten nennen heute fast immer 1906. Warum 1906? Vordergründig könnte man meinen, weil antiquarische Bücher, im Gegensatz zu neuen, in der Wertschätzung mit dem Alter steigen. Der Grund wird ein anderer sein. Der Irrtum eines Bibliothekars der Bibliothek des ‚American Museum of Natural History‘, der handschriftlich eine falsche Schätzung im Erfassungsformular vermerkte! Diese Jahreszahl wurde mit der Digitalisierung weltweit verbreitet.

Abb. 2: Erfassungsformular des Buches mit handschriftlichem Eintrag 1906

Warum Fehleinschätzung? Auf die Zeit 1910 oder früher konnte der Erscheinungszeitraum durch die Annonce im Januar 1911 plausibel nach oben abgegrenzt werden. Dass 1906 zu früh ist, hätte man aus Hinweisen im Buch selbst schon entnehmen können. Zu den Farbtafeln der Show Antwerp und Show Homer sind Musterbeschreibungen beigefügt, die ausdrücklich „dem Werk ‚Der Show Homer und Show Antwerp‘ von Körber mit Genehmigung des Verfassers entnommen“ wurden.

  

Abb. 3: Bildtafel der Show Antwerp im zitierten Buch von Körber von 1907 mit dem Hinweis in der Musterbeschreibung

Auch das Buch von Körber ohne Jahreszahl, aber 1907 unter den deutschen Neuerscheinungen im Börsenblatt des deutschen Buchhandels aufgeführt. Damit später als die Schätzung 1906 für das Illustrierte Prachtwerk.

Im Buch enthalten, auch eine Farbtafel mit Langschnäbligen Tümmlern. Die dazu abgebildete Musterbeschreibung des Stralsunder Hochfliegers wurde vom Klub der Züchter des Stralsunder Hochfliegers am 2. November 1908 in Stettin aufgestellt. Damit ein noch offensichtlicherer Widerspruch zur Angabe einer Herausgabe im Jahr 1906.

 

Abb. 4: Deutsche Langschnäblige Tümmlerrassen bei Schachtzabel in der 1. Auflage mit Hinweis in der abgedruckten Musterbeschreibung für den Stralsunder Hochflieger, aufgestellt am 2. November 1908.

Exemplarisch zeigt sich am Beispiel des ‚Schachtzabels‘, dass viele Sammler sich mehr am Besitz von Büchern erfreuen als am Lesen, denn sonst hätten diejenigen, die 1906 angeben, die Widersprüche im Inhalt bemerken müssen.

Für die juristische Ausbildung könnte es eine gute Übungsaufgabe sein, die Konsequenzen einer fahrlässigen, grob fahrlässigen und arglistigen Fehlinformation über das Erscheinungsdatum alter Werke aufzuzeigen. Ein zugesichertes, aber unzutreffendes Erscheinungsdatum, könnte als Mangel aufgefasst werden. Zu Kunst und Kaufrecht unter solchen Aspekten interessant die Arbeit von Christian Wrede 2003. Die Wertschätzung von Kunstschätzen, und dazu dürften solche illustrierten Prachtwerke gehören, hängt von vielen Einflussfaktoren ab, zu denen auch das Alter, die Beachtung in der Fachliteratur und die zeitliche Einordnung in eine Reihe ähnlicher Werke gehören. Hier ist es keine Verlagerung des Erscheinungsjahres in ein früheres Jahrhundert. Dennoch, zumindest für an der Geschichte von Taubenrassen Interessierte machen die falschen Angaben auch hier einen Unterschied. So wird z.B. die von der englischen Zeitschrift ‚Feathered World‘ 1908 verbreitete Zeichnung des Tiermalers A.J. Simpson, die ‚Simpson-Elster‘, als Initialzündung zur Schaffung der modernen Elstertümmler angesehen. Wäre 1906 richtig, hätten die nicht minder eindrucksvollen deutschen Zeichnungen von Anton Schöner im Schachtzabel Priorität.

 

Abb. 5: Die berühmte ‚Simpson-Elster‘ aus der englischen ‚Feathered World 1908 (links). Tafel mit Elstertümmlern in der 1. Auflage von Schachtzabel von 1910 (rechts). In der Mitte Berliner Lange aus dem von Alfred Lavalle und Max Lietze herausgegebenen Sammelband. Auch ohne Erscheinungsjahr, aus dem Vorwort ersichtlich Oktober 1905 abgeschlossen.

In der zeitweise ausufernden Euphorie über den Elstertümmler um und nach 1910 ist untergegangen, dass in Deutschland schon vorher die Berliner Langen zu einem hochstehenden langschnäbligen Tümmler geformt wurden. Und auch das, wie bei den Englischen Elstertümmlern, durch Kreuzungen mit Französischen Bagdetten (Sell, Taubenzucht 2019).

Literatur:

Doll, Paul, Chronik 100 Jahre BDRG, Selbstverlag Bund Deutscher Rassegeflügelzüchter e.V. 1981 (S. 307)

Doll, Paul, Die Geschichte der Rassetaubenzucht in Deutschland, Verlag des Verbandes Deutscher Rassetaubenzüchter 1995 (S. 30)

Levi, The Pigeon, Sumter S.C., 1969, Reprint der Ausgabe von 1963 (S. 636)

Lavalle, Dr. Alfred, und Max Lietze (Hrsg.), Die Taubenrassen, Fritz Pfenningstorff, Berlin o.J., nach dem Vorwort datiert 1905 (Foto nach S. 308)

Möbes, Werner K.G., Bibliographie der Tauben, Akademischer Verlag Halle 1945 (S. 176)

Müller, Erich, Die Welt der Rassetauben, Reutlingen 1978 (S. 561)

Schachtzabel, Emil, Illustriertes Prachtwerk sämtlicher Tauben-Rassen, Würzburg o.J. (1910)

Sell, Axel, Taubenrassen. Entstehung, Herkunft, Verwandtschaften. Faszination über die Jahrhunderte, Achim 2009 (S. 312)

Sell, Axel, Taubenzucht. Möglichkeiten und Grenzen züchterischer Gestaltung, Achim 2019, S. 348-350)

Wrede, Christian, Kopien – Imitationen – Fälschungen. Kunst und Kaufrecht, Dissertation Heidelberg 2003.