Home

Buch-Shop  

Ausstellungen

Genetik

Archiv

Literatur

 Links

Impressum

 

 

Book-Shop

Shows

Genetics

Archive

Literature

 

  Datenschutz

 

Es ist nicht alles dominant oder rezessiv. Entdeckung und Dokumen­tation von Vererbungsmechanismen bei Taubenfärbungen

1865 legte Gregor Mendel seine ‘Versuche über Pflanzen-Hybriden‘ vor. Aus der Beobachtung charak­teristischer Unterschiede von Merkmalen und anschließende Kreuzungen, Rückkreuzungen und Aufspal­tungen postulierte er die ‚Mendelschen Gesetze‘ der Vererbung. Die Taubengenetik erreichten die Er­gebnisse erst nach 1900.

Geltung der Mendelschen Gesetze bei Tauben

1905 versuchte Loisel ohne Erfolg, die gehämmerte Zeichnung als Unterschied zu Binden auf die Men­delschen Gesetze zurückzuführen. Wahrscheinlich dadurch irritiert, dass er auch Tiere mit (dominant) roter Grundfarbe und Schimmel im Bestand hatte und mit den Kenntnissen zu der Zeit die genetischen Grundlagen der Kombinationen nicht einordnen konnte.

1911 zeigten Bonhote und Smalley die Gültigkeit der Mendelschen Gesetze auch bei Tauben für die Zeichnungen, woran Loisel noch gescheitert war. Hämmerung dominiert über die Binden.  1914 zeigte Cole, dass auch das Rezessiv Rot bei Tümmlern den Mendelschen Regeln folgt.

 

Gehämmerte Zeichnung x bindige Zeichnung ergibt mischerbige ge­hämmerte Nachkommen, die in der nächsten Generation nach den Mendelschen Regeln aufspalten

 

Epistatische Effekte

1907 prägte Bateson nach Versuchen mit der Blütenfarbe von Erbsen den Begriff der Epistasie. Ein rezessives oder dominantes Gen unterdrückt ganz oder teilweise die Wirkung eines nicht-allelen an­deren Gens

1914 zeigte Cole auf, dass sich schwarze Tauben von denen mit einer Zeichnung durch einen Erbfaktor unterschieden. Der dominante Spread-Faktor wirkt überdeckend (epistatisch) über die Zeichnungen. 1922 weist Sarah van Hoosen Jones bei der Analyse der Analyse der Zeichnungen den weitgehend epistatischen Effekt von Spread an umfangreichen Daten nach. 1928 zeigt Metzelaar den epistatischen Effekt von rezessiv Rot über die Grundfarben

 

Reinerbig Schwarz (Spread) x Blaubindig ergibt schwarze Nachkommen. Untereinander gepaart wird in einigen Nachkommen die unter Schwarz verborgene Zeich­nung aufgedeckt. Hier die Hämmerung.

 

Geschlechtsgebundene Vererbung

1908 wies Doncaster einen geschlechtsgebun­denen Erbmechanismus bei dunkler und heller gefärbten Stachelbeer-Spannern nach. Die Versuchsanordnung entsprach der von Mendel. Mendel war durch die Entdeckung nicht ‚widerlegt‘, aber der Geltungsbereich seiner Regeln wurde auf nicht geschlechtsgebundene Merkmale eingeschränkt.

1911 zeigten Bonhote und Smalley und endgültig COLE 1912 auf, dass die geschlechtsgebundene Vererbung auch bei Tauben auf die Verpaarung von Blauen mit der Verdünntfarbe ‚Silber‘ (blaufahl) zutraf. Damit hatte die Beobachtung, dass ‚Silber‘ aus zwei Blauen immer Weibchen waren – was schon Darwin verwundert hatte – eine Auflösung erhalten. 1912 zeigte Cole, dass der geschlechtsgebundene Erbmechanismus auch auf die Verpaarung von Schwarzen mit verdünntfarbenen Dun und von Roten mit verdünntfarbenen Gelben zutraf. Der Unter­schied zwischen dominantem und rezessivem Rot wurde 1919 zusammen mit Kelly dokumentiert. Dabei wurde auch die Geschlechtsgebundenheit von Dominant Rot aufgezeigt.

Reinerbig verdünntfarbene Täuber (hier Gelbe) x Nicht-Verdünntfarben hemizygote Weibchen (hier Rote) ergeben hemizygote gelbe Weibchen und heterozygote rote Täuber

 

Tauben mit den Erbfaktoren Reduced, Carl Graefe 1951, und Rubella, Gerhard Knopf 2002, folgen demselben Muster.

 

Rubella-Täuber x Nicht-Rubella Weibchen (oben) ergibt für Rubella spalterbige Täuber und hemizygote Rubella-Täubinnen.

 

Erblicher Geschlechtsdimorphismus bei Taubenfärbungen

1868: Darwin diskutiert die Möglichkeiten der Schaffung von Stämmen mit farblichen Unterschieden zwischen Täubern und Täubinnen. Als Beispiel findet er in der Literatur weinrote Kropftauben, bei denen nur die Täuber schwarze Flecken zeigen würden. Damals nicht erklärbar, nach den Analysen von Hawkins (1931) sind es mischerbige Täuber für schwarze und dominant rote Grundfarbe.

1925 analysieren die Norweger Christie und Wriedt das geschlechtsgebundene dominante Stippergen (St) bei Dänischen Tümmlern. Indirekt zeigen sie dabei die Kennfarbigkeit mit weißlich gefärbten reinerbigen St-Täubern.

Homozygote Stipper-Täuber sind weißlich gefärbt und haben in der Regel gesundheitliche Defizite im Unterschied zu hemizygoten Weibchen (hier ein Paar aus der Zucht des Verfassers)

 

1942 Hollander zeigt den erblichen Geschlechtsdimorphismus bei Faded mit der Möglichkeit der Schaf­fung von zuchtfähigen Auto-Sex Stämmen.

Geschlechtsdimorphismus bei rotfahlen faded Texanern. Die helle­ren Täuber reproduzieren sich bei der Paarung mit hemizygoten frosty Weibchen

 

1970er Jahre: Tim Kvidera entdeckt in den USA ein wahrscheinlich aus Faded mutiertes Gen ‚Frosty‘. Reinerbige Täuber haben entferntere Ähnlichkeit mit mischerbigen Faded-Täubern und hemizyoten Faded-Täubinnen auf blauer Grundlage. Täubinnen entsprachen dem Wild-Typ. 1988 schätzt er sie als ein rezessives geschlechtsgebundenes Allel von Stipper ein. 2000 zeigt Andreas Leiß, dass Thüringer Einfarbige dasselbe Erbverhalten haben. Die den Blaugrundfarbigen entsprechenden Weibchen sind blaubindig. Nach Fremdkreuzungen gibt es gelegentlich leichte Aufhellungen vor der Schwanzbinde. Das findet man auch bei mischerbigen Faded-Täubern und wird von Bechstein 1807 bei der historischen in Thüringen beheimateten ‚Schweiftaube‘ als namensgebend beschrieben. Anders als bei Reduced, Rubella, den Verdünnungsfaktoren, und auch bei Faded, zeigen die hemizygoten Täubinnen bei Frosty den Faktor nicht.

   

Thüringer ‚blaugrundfarbiger‘ Täuber mit schwarzem Weibchen und schwarzen und blauen Jungtieren. Rechts heterozygoter Jungtäuber und hemizygote Jungtäubin. Quelle: Sell, Genetik der Taubenfärbungen.

 

Genetische Koppelungen

1911 bis 1929: Morgan und seine Mitarbeiter erstellen umfassende Drosophila-Kartierungen von Chro­mosomen und dokumentieren Häufigkeiten von Koppelungsbrüchen bei gemeinsam auf einem Chro­mosom liegenden Genen

1919 Cole und Kelly ermitteln empirisch eine Cross-Over-Rate (Häufigkeit von Koppelungsbrüchen) für die geschlechtsgebundenen Grundfarben und den Verdünnungsfaktor bei Tauben von 40% (50% ist die statistische Erwartung bei unabhängig vererbenden Genen).

Cross-Over Test durch einen für Dominant Rot und Verdünnung auf demselben Chromosom mischer­bigen Täuber an eine hemizygote verdünntfar­bene dominant rote (damit gelbe) Täubin. Die dunfarbene Täubin ein Cross-Over. Quelle: Sell, Taubenzucht 2019

1938 Hollander ermittelt für die nicht geschlechtsgebundenen Faktoren Rezessiv Opal und die Zeich­nungen eine enge Koppelung mit einer Cross-Over-Rate von 2-3%.

Vervollständigung der Grundfarben

1924: Metzelaar (zitiert nach Steele 1931) erkannte als erster, dass Braun eine eigenständige Grundfarbe ist. Dass Braun ein Allel von Dominant Rot ist, zeigte 1931 Hawkinson.

Braun als eigenständige Grundfarbe.  Reinerbige Täuber und hemizygote Weibchen entsprechen sich in der Färbung

 

Weitere nicht-allele Genwirkungen

An Bateson anschließend werden nach 1907 weitere nicht-allele Faktorinteraktionen aufgezeigt, vor allem bei Pflanzen. Bei Kurzdarstellungen entsteht leicht der Eindruck, jedes Merkmal sei durch ein oder sehr wenige Gene verursacht. Fast alle Merkmale dürften aber das Ergebnis kumulativen oder komplementären Zusammenwirkens mehrerer Gene sein (Bartelmess 1965: 724). Taubenzüchter bringen das mit dem Verweis auf ‚modifizierende‘ Faktoren als Erklärung für als gering eingeschätzte Variationen zum Ausdruck. Bei größeren Abweichungen werden potentiell bedeutsame Faktoren explizit benannt.

1925: Dass dominante Gene die Wirkung nicht-alleler Gene überlagern, ist für Taubenzüchter nicht erstaunlich. Stipper z.B. verwandelt reinerbig Rezessiv Rote bei Englischen Short Faced Tümmlern und Dänischen Tümmlern in DeRoy. Das zeigten für Dänische Tümmler Christie und Wriedt. Fulton (1876) konnte die Färbung bei Englischen Short Faced Tümmlern noch nicht einordnen.

 

DeRoy Englischer Short Faced Tümm­ler (links). Jungtiere DeRoy, Braun­stipper und die Komplementärfarben Kite und Rot Agate bei Dänischen Tümmlern der eigenen Zucht

 

1929: Wriedt und Christie stellen fest, dass Rezessiv Rote, die aus Dänischen Brandern fallen, mit der Mauser einen ‚Bleaching‘-Faktor zeigen und mit jeder Mauser stärker weiß ausmausern. Der Bleaching-Faktor wirkt sich ohne Rezessiv Rot nicht aus.

  

Verblassung Typ I bei Christie und Wriedt, Rezessiv Rote aus Dänischen Brandern. Quelle: Christie und Wriedt 1929

Ein zu Weiß Ausmausern rezessiv roter Tauben hatte Fulton 1876 für ‚Agates‘ als Nebenfarbe der Almondzucht beschrieben. Das Merkmal ist auf die aus Englischen Short Faced Tümmlern erzüchteten Dänischen Stipper übertragen worden. Auch hier zeigt sich das Gen nur bei Rezessiv Roten. In größeren Versuchen haben das Tim Kvidera (1982) für rote Wiener Weißschilder, und Andreas Leiß (2008) für rote Weißschilder und Usbekische rote Tschinny, bestätigt. Sie haben einen Weißschildfaktor postuliert, der Rezessiv Rot in Reinerbigkeit voraussetzt.

   

Englischer Short Faced Tümmler rot Agate, Wiener Weißschilder Rezessiv Rot, Tschinny Usbeki­scher Flugtümm­ler

2010, 2011: Hein van Grouw und Dina Mergeani stellen die Grundfarbe Dominant Rot als Voraussetzung für die Nackthalsigkeit der Rumänischen Nackthälse fest. Damit wird ein die Färbung betreffender Faktor mit einem anderen Merkmal verknüpft.

 

Rumänischer Nackthalstümm­ler do­minant rot und gelb (Foto rechts: Layne Gardner)

Rezessiv Rot in Mischerbigkeit sind als Modifikator zur Verbesserung der Standardfärbung für Ausstellungen bei der Zucht almondfarbener Tauben seit Fulton (1876) bei Englischen Short Faced Tümmlern und später bei Dänischen Stippern dokumentiert. Eine positive Wirkung auf die gewünschte Standardfärbung kann erklären, warum sich der rezessive Faktor in den Rassen hält und immer wieder Rezessiv Rote ausspalten.

 

Dänischer Tümmler ‚Braunstipper‘ und Rot-Agate aus Dänischen Stippern im Nestgefieder und kurz vor Abschluss der Mauser. Quelle, Sell, Genetik der Taubenfärbun­gen, Achim 2015

Bei Kupfer- und Goldgimpel-Tauben wirkt sich Rezessiv Rot in Mischerbigkeit analog zur Wirkung bei Almonds positiv auf die gewünschte Kupfer- bzw. Goldfärbung aus.  Aus gut gefärbten Tieren fallen einfarbige rezessiv Rote und Goldene (so schon Goodall 1899)

 

Gold-Schwarzflügel Gimpel und einfarbig Gold (Rezessiv Rot und Pale) aus Gold­gimpeln. Quelle, Sell, Genetik der Taubenfärbun­gen, Achim 2015

Die Beobachtung, dass aus Dänischen Brandern regelmäßig Tauben mit dem ‚Bleaching Faktor‘ fielen, hatten schon Christie und Wriedt 1929 gemacht, ohne es mit der Bronzefärbung in Verbindung zu bringen. Dass die Mischerbigkeit zur Erzielung der Branderbronze-Färbung erforderlich ist, wurde 2008 und kurz danach für Niederländische Schornsteinfeger (Ko van Vliet u.a.) und 2012 für Dänische Brander (Bill Peterson, Wim Halsema) gezeigt. Die Bedeutung des ‚Bleaching-Faktors‘ bleibt offen.

 

Dänische Brander und Nieder­ländische Schornsteinfeger, mischerbig für Rezessives Rot

 

2012 Interaktion rezessiver geschlechtsgebundener Gene: Frosty und Rubella. Beide Faktoren liegen auf dem Geschlechtschromosom (s.o.). Ein Unterschied besteht darin, dass bei Frosty der Faktor nur von reinerbigen Täubern gezeigt wird. Bei Rubella zeigen ihn auch die hemizygoten Täubinnen. Auf der Grundlage von Rubella hat der gegenüber dem Wild-Typ bei Täubern und hemizygoten Täubinnen nicht sichtbare Frosty-Faktor einen Farbeffekt. Hemizygote Frosty-Rubella Täubinnen werden im Körpergefieder eisgrau. Hämmerung und Binden werden farblich abgeschwächt. Das zeigten, meist weniger deutlich, auch Täuber bei der Verpaarung von Frosty-Rubella-Täubinnen mit dem Wild-Typ. Zeichnungen sind noch leicht bräunlich oder nur anthrazit abgeschwächt. Reinerbige Frosty-Rubella Täuber sind hell silbergrau. Im Farbkontrast entspricht die Familie kennfarbigen Faded. Durch die relativ weite Entfernung der Loci für Frosty und Rubella auf dem Geschlechtschromosom ist die Verbindung fragil. Sie geht bei Fremdkreuzungen schnell verloren.

 

Reinerbiges Paar Frosty-Ru­bella mit ausgeprägtem Ge­schlechtsdimorphismus (links), Jungtäuber mischerbig Frosty-Rubella aus Wild-Typ x Frosty-Rubella (rechts ).

 

Molekulargenetische Verankerung von Genen

2004 veröffentlicht Charles Lee in Zusammenarbeit mit einer kanadischen Forschungsgruppe im Rah­men der Analyse des menschlichen Genoms eine Studie, in der gezeigt wird, dass größerer Abschnitte der DNS in allen Individuen mit unterschiedlicher Zahl an Kopie vorhanden waren (Copy Number Vari­ation CNV). Bei der Analyse des menschlichen Genoms interessieren vor allem potentielle Zusammen­hänge mit Krankheiten.

2017, 2019, 2020 Domyan, Shapiro, Bruders u.a. legen umfangreiche Studien zur Verankerung von Genen im Genom vor und untersuchen u.a. Unterschiede und Auswirkungen von CNV für Stipper und Stipper-Allele

Copy number variation bei Stippern und Allelen des Stippergens. Quelle: Auszug aus Bruders R, Van Holle­beke H, Osborne EJ, Kronenberg Z, Maclary E, Yandell M, et al. (2020) A copy number variant is associated with a spectrum of pigmentation patterns in the rock pigeon (Columba livia). PLoS Genet 16(5): e1008274.

https://doi.org/10.1371/journal.pgen.1008274

Anmerkung: n=Zahl der jeweils getesteten Tauben.

 

Literatur und Literaturhinweise in

Hollander, W.F., Origins and Excursions in Pigeon Genetics, Burrton, Kansas 1983

Levi, W.M., The Pigeon, Sumter South Carolina 1941, revised and reprinted 1969

Sell, Critical Issues in Pigeon Breeding. What we know and what we believe to know, Parts I-VI, 60 S., Achim, 2020/2021.

Sell, Genetik der Taubenfärbungen, 384 S., Achim 2015.

Sell, Pigeon Genetics. Applied Genetics in the Domestic Pigeon 528 S., Achim 2012.

Sell, Taubenzucht. Möglichkeiten und Grenzen züchterischer Gestaltung, 368 S., Achim 2019.

Sell, Verständnis und Missverständnisse in der Taubenzucht. Anekdotische, unterhaltsame und lehrreiche Anmerkungen zu offenen Fragen, Teile I-VI, 60 S., Achim 2020/2021.

Einführende Literatur:

Sell, Introduction to Heredity in Pigeons, 80 p., Achim 2022

Sell, Inleiding tot de erfelijkheid bij duiven, 80 S., Achim 2022

Sell, Introduction à l'hérédité chez les pigeons, 80 S., Achim 2022

https://taubensell.de