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Fallstricke bei traditioneller und molekulargenetischer Klassifikation von Taubenrassen

Herkunft und Verwandtschaften von Taubenrassen

Taubenrassen können aus verschiedener Perspektive betrachtet und untergliedert werden.

1. Historisch werden bei der Darstellung von Haustauben auffallende Merkmale und Verhaltensweisen nebeneinander beschrieben. Bei Frisch 1763 und in anderen frühen Schriften wurden das Bezeichnungen für Gruppen von Taubenrassen wie Kropftauben, Tümmler- und Hochflieger, Trommler etc., die sich innerhalb der Gruppe in anderen Details noch voneinander unterschieden. Diese Gruppierungen finden sich bis heute als Gliederungsschema in den Musterbeschreibungen der Taubenzüchterorganisationen.

2. Das Interesse von Darwin (1868) war in diesem Kontext nicht auf das Nebeneinander von Rassen und Rassegruppen gerichtet, sondern auf das Nacheinander von Vorstadien und vorläufigen Endstadien der Entwicklung von Rassen. Damit konnte er die schnelle Veränderung von Merkmalen unter dem Einfluss der Selektion veranschaulichen.

3. Schon vor Mendel(1865), aber verstärkt nach ihm, wurden Rassen mit anderen Merkmalen als mögliche Quelle für die Verbesserung von Rassen oder zur Schaffung neuer Rassen durch Vereinigung positiver Merkmale angesehen.

4. Molekulargenetische Klassifikationen von Rassen in Clustern erfolgen nach durch DNS-Analysen festgestellten genetischen Gemeinsamkeiten. Zusammengefasst werden Rassen mit besonders großer Ähnlichkeit untereinander, aber mit einem deutlichen Abstand zu anderen Gruppen. Einige Aussagen zu diesen Studien erwecken den Eindruck, es gäbe gerade bei Tauben wenig Informationen über die Beziehungen von Rassen zueinander:as unlike with many other domestic species, few reliable records exist about the origins of, and relationships between, each of the breeds” (Pacheco et al., S. 137). Daher müsse und könne man die Beziehungen aus den molekulargenetischen Befunden rekonstruieren. Wie nachfolgend ausgeführt, wird damit die Fülle der in der Liebhaberliteratur vorhandenen Informationen unterschätzt. Dagegen werden die Möglichkeiten zu eindeutigen Aussagen angesichts der züchterischen Aktivitäten und vielfachen Kreuzungen zwischen den Rassegruppen in der Vergangenheit überschätzt.

 

Traditionelle Klassifikationen von Rassen nach ihrem Nutzen, nach Erscheinung und Verhalten

In der historischen europäischen Literatur über Tauben stehen die Beschreibung von Rassen und die vermutete regionale Herkunft im Mittelpunkt. So bei Gessner 1555/1557 und in der überarbeiteten Fassung 1669, bei Aldrovandi um 1600, Willughby 1676, Moore 1735 und Frisch in Deutschland 1763. Frisch hatte bereits neun Grundtypen unterschieden und für jede Gruppe exemplarisch ein Beispiel bildlich vorgestellt. Feldtauben und Montauben (Monatstauben) als Vorfahren der heutigen Farbentauben, Trommeltauben, Kröpfer, Mövchen, Tümmler, Türkische Tauben als Vertreter der Warzentauben, Perücken- und Pfautauben als Vertreter der Strukturtauben.

Abb. 1: Vertreter zweier Hauptgruppen der Haustauben bei Frisch 1763 (Quelle: Sell: Taubenrassen 2009)

In der deutschen Musterbeschreibungen sind die Gruppen ‚Formentauben‘ und ‚Huhntauben‘ dazu gekommen. Die heterogene Gruppe ‚Formentauben‘ umfasst auch die bei Buffon 1772 als Gruppe aufgeführten großen Nutztauben, darunter die schon bei Willughby 1676 als ‚Runts‘ und bei Dürigen 1886 als Römer klassifizierten Riesentauben. Aus den Kröpfern sind 2022 in der Zuchtbestandserfassung des deutschen BDRG aus dem bei Frisch dargestellten ‚Prototyp‘ inzwischen 35 Rassen geworden, bei den Tümmlern und Hochfliegern weit über 100. Die Klassifizierung des NPA, des amerikanischen Taubenzüchter-Verbandes, ist ähnlich und bewegt sich in der Tradition anderer Verbände.

Historische Einordnungen können sich überleben. Das hatte Dixon schon 1851 für einige aus fliegerischer Sicht degenerierte Untergruppen der Tümmler geschrieben: Sie würden Tümmler genannt, weil sie sich überschlagen (tümmeln) würden, wenn sie noch fliegen könnten (S. 118). Verbände reagieren auf nicht übersehbare Veränderungen zum Teil durch Umgruppierungen. So sind z.B. die bei Dürigen 1886 noch als Farbentauben klassifizierten Coburger Lerchen und Luchstauben in der aktuellen Musterbeschreibung zu Formentauben geworden, Strasser von Huhntauben auch zu Formentauben.

 

Darwin: Veränderungen und Entstehung von Rassen durch Selektion

Für Darwin waren Taubenrassen wichtig, weil er an ihnen exemplarisch die schnelle Veränderung von Merkmalen durch Selektion aufzeigen konnte. Es geht um Vorfahren dieser Rassen und um die zu seiner Zeit zum Teil noch existierenden Vorformen. Nicht das Nebeneinander von Rassegruppen interessiert, sondern in diesem Kontext die Unterschiede der Rassen von ihren Vorformen (parent-stock). Diese sind in seinen Abbildungen in gepunkteten Linien angedeutet. Aufzeigen konnte er die extreme Veränderung von Merkmalen in relativ kurzer Zeit. Im ‚Stammbaum‘ des Englischen Short Faced Tümmlers z.B. wird dieser mit kleiner Figur und extrem kurzem Schnabel als Ende eines Entwicklungsweges aufgezeigt. Unter seinen direkten Ahnen ist der in England verbreitete ‚Common Tumbler‘ und, weiter entfernt, der verwandte Bodenpurzler (Lotan Tumbler) und der Persische Tümmler.

Abb. 2: Englischer Short Faced Tümmler und seine Entwicklungslinie bei Darwin 1868 (Quelle: Sell, Taubenrassen 2009).

 

Der Carrier, mit einem langen Schnabel und relativ hohem und schlanken Stand, steht auch am Ende einer Entwicklungslinie. Darwin hatte in extremen Exemplaren 3,6 cm Schnabellänge von der Spitze bis zum Mundwinkel gemessen. Als Vorformen in seiner Abbildung genannt der Dragon (heute Dragoon), der Bussorah-Carrier und andere in Schnabel wesentlich kürzere Carrier-Rassen (vgl. Sell, 2009, S. 124).

Abb. 3: Englischer Carrier bei Darwin 1868 und Entwicklung der Schnabellänge über die Zeit (Quelle: Sell, Taubenrassen 2009).

 

Ob die Entwicklung der Schnabellänge bei beiden Rassen allein der Selektion zu verdanken war, sei dahingestellt. Denn in der historischen Literatur gibt es Anzeichen und Belege dafür, dass die damals unter anderen Namen vorhandene heutige Französische Bagdette bei der Entwicklung des Englischen Ausstellungs-Carrier beteiligt war, und, bei der Schnabellänge des Englischen Short Faced Tümmlers, auch Mövchen.

In Europa kannte Aldrovandi die Pfautaube 1600 noch nicht. 1669 taucht sie in der durch Horst überarbeiteten Fassung des Gessners als Cprischer Pfauenschwanz auf.  Sie sei für viel Geld von hiesigen vornehmen Liebhabern aus Holland geholt worden. Die Schwanzfederzahl wird mit 26 angegeben, statt der 12 einer normalen Haustaube. Das ist auch die von Darwin mit Hinweis auf Willughby (1676) zitierte Zahl. Moore (1735) nennt 38, Buffon (1772) 32 und Boitard und Corbié (1824) 42. In England ginge es nach Darwin aber nicht so sehr um die Zahl, sondern auch um die allgemeine Körperhaltung (general carriage). Diese hat sich bis heute mit extrem kurzen Rücken noch weiter verändert (Abb. 4, Fig. 10).  

Abb. 4: Pfautaube bei Darwin (links) und Entwicklung von Buffon (1772) über P.J. Selby (1835/1843) bis heute auf dem Cover des Buches Taubenrassen.

 

Schaffung neuer Rassen und Übertragung von Merkmalen über Rassegruppen

Dass Eigenschaften – positive und negative – erblich sind, war schon vor Mendel eine feste Erkenntnis der praktischen Tierzucht XE "Tierzucht" . Unter dem Stichwort „Viehzucht“ im Buch der Erfindungen, Leipzig und Berlin 1864, finden wir folgende Ausführungen:

„In Beziehung auf die Leistungen … sind die einzelnen Arten, Pferd, Ziege, Rindvieh u.s.w. nicht nur, sondern auch einzelne Zweige dieser Arten unter sich wieder sehr verschieden. Der Name Rasse bedeutet so viel als eine durch besondere, allen Gliedern der Rasse bleibenden Eigenschaften ausgezeichneten Abart. Rassen treffen wir bloß unter denjenigen Thieren, welche der Mensch in seine nächste Umgebung genommen, zu Hausthieren gemacht und zu seinen Diensten gewöhnt hat“… „Es ist aber auch ebenso gewiß, … dass es der Mensch in seiner Gewalt hat, neue Rassen nach seinem Willen zu bilden“… (so in der zum Teil veralteten Schreibweise auf S. 204ff.).

Und weiter: „Der Thierzüchter kann nun die vorhandenen Rassen erhalten oder veredelnd verändern. Erhalten wird eine Rasse durch Paarung der besten Thiere innerhalb derselben; veredelt wird sie durch Vererbung XE "Vererbung"  von Formen oder Eigenschaften, welche ihr für einen erstrebten Zweck oder im Allgemeinen fehlen, und zwar durch Paarung von Thieren verschiedener Rassen, in denen vereinzelt jene gewünschten Eigenschaften auftreten“ (zitiert nach Sell, Taubenrassen, S. 191).

Für viele Taubenrassen ist das durch Boitard und Corbié schon 1824 ausführlich dokumentiert. In Deutschland wurden ursprünglich farblich unscheinbare Trommeltauben durch Kreuzungen mit Farbentauben dem Geschmack der Züchter angepasst. So wurden die neu entstandenen Trommeltaubenrassen in der Literatur lange als ‚Bastard-Trommeltauben‘ geführt (Neumeister 1837 und Neumeister/Prütz 1876).

 

Abb. 5: Trommeltauben und Bastard-Trommeltauben bei Neumeister 1837, Neumeister/Prütz 1876. Skizze der Zusammenhänge von Rassegruppen  (Quelle: Sell, Taubenrassen 2009)

 

Die Gruppe der Tümmler und Hochflieger ist besonders aufnahmebereit für Merkmale, die ursprünglich mit anderen Rassegruppen verbunden waren. Hoher Stand, lange Hälse und lange Schnäbel durch Einfluss Französischer Bagdetten (Abb. 6), kurze und dicke Schnäbel durch Mövchen, Strukturen von Trommeltauben und Pfautauben, Färbungen von Farbentauben.

  

Abb. 6: Deutsche Elstertümmler bei Schachtzabel 1910, Elstertümmler bei Lyell 1887 und Englischer Elstertümmler aus dem Jahr 1938, abgebildet bei Levi 1969  (Quelle: Sell, Pigeon Genetics 2012)

 

Bei den Elstertümmlern erschienen die durch Kreuzungen veränderten Tauben zunächst als ‚neue Zuchtrichtung‘, bevor sie sich als Nachfolger der alten Rasse durchgesetzt hatten. So auch bei Maltesern (Abb. 7), Kasseler Tümmlern u.a. (Sell, 2009).

Abb. 7: Malteser alter und neuer Zuchtrichtung bei Dürigen 1868 und 1906, Quelle: Sell, Taubenrassen 2009

 

Auch Strasser und Luchstauben haben sich nicht allein durch Selektion in Figur und Größe von den bei Lavalle und Lietze 1905 gezeigten Tauben fortentwickelt.

Abb. 8: Veränderung der Luchstaube von einer Farbentaube zu einer Formentaube und der Strasser von der Huhntaube zur Formentaube (Quelle: Sell, Pigeons Genetics. Applied Genetics in the Domestic Pigeon, 2012)

 

Eine Quelle der Durchmischung von Rassen ist auch die Übertragung neu aufgedeckter Farbfaktoren auf andere Rassen und Rassegruppen. 1945 bei Rollertauben (Tümmlern) entdeckt, ist z.B. der Faktor ‚Reduced‘ in den USA schnell in Genuine Homer, Giant Homer, Brieftauben, Long Faced Tümmler und andere Rassen übertragen worden. Nach Europa kam er über solche Long-Faced Tümmler-Kreuzungen. Im Dortmunder Raum wurden daraus durch die Zuchtgemeinschaft Christoph Mooren und Thomas Schmidtmann Kölner Tümmler graugesäumt. Von diesen sprang der Erbfaktor bei Norbert Dietrich auf Deutsche Modeneser über und bei Fritz Muchow auf Farbentauben bei Thüringer Schildtauben (Abb. 9). Thomas Voss übertrug den Faktor auf europäische Brieftauben. Vorhanden ist der Faktor inzwischen bei Mövchen, Trommeltauben und anderen Rassegruppen.

Abb. 9: Übertragung des Erbfaktors Reduced in wenigen Jahren aus Rollertauben in den USA in viele Rassen (Quelle: Sell, Critical Issues in Pigeon Breeding, Part IV 2021).

Ähnlich genau lässt sich auch die Übertragung anderer Faktoren in der Hobby-Literatur nachverfolgen. So für den in den 1940 Jahren in den USA bei Kreuzungen aufgedeckten Faktor Indigo, der, wie sich später zeigte, auch in leistungsstarken europäischen Brieftaubenstämmen zu finden ist (Sell 2012, 2019).

Abb. 10: Übertragung des Erbfaktors Indigo in wenigen Generationen auf andere Rassegruppen wie Hochflieger beim Verfasser (aus Brieftauben) und Pfautauben (Quelle: Sell, Pigeon Genetics. Applied Genetics in the Domestic Pigeon, 2012)

Mit den Farbfaktoren werden gleichzeitig Gene anderer Genbereiche übertragen. die sich durch Kreuzungen mit anderen Farbenschlägen auch in diesen wiederfinden.

 

Molekulargenetische Klassifikationen

Darstellungsformen

Im Anschluss an eine Studie von Stringham u.a. (2012) sind eine Reihe weiterer Studien zur Ähnlichkeit von Taubenrassen und zur Klassifikation in Clustern und Darstellungen in Dendrogrammen erschienen. Die Studie verwendeten 32 nicht verknüpfte Mikrosatellitenmarker, um 361 Individuen aus 70 Haustaubenrassen und zwei freilebende Populationen genetisch zu charakterisieren. Ähnlich umfangreich, und teilweise darauf aufbauend, die Studie von Pacheco u.a. (2020). Vertrauensbildend, dass die hier im Ausschnitt aus dem bei Stringham gegebenen Dendrogramm gezeigten Tümmler und Hochflieger, wie Birmingham Roller (BIR), Tippler (TIP), West of England Tümmler (WOE), weitgehend zusammenbleiben, was die unterstellte Gemeinsamkeit der Herkunft bestätigt oder zu bestätigen scheint.

 

Abb. 11: Beispiel für ein Dendrogramm. Ausschnitt aus Stringham und anderen (2012). Eine Rassenzuordnung vom Englischen Kröpfer (ENP) bis zum Amerikanischen Show Racer (ASR)

 

Ähnlichkeit durch gemeinsame Abstammung oder kürzliche Kreuzungen?

Eine nachgewiesene Ähnlichkeit bedeutet noch keine verlässliche Aussage über die Ursprünge der Rasse. Ermittelt wird die Ähnlichkeit zwischen heutigen Beständen. Die Ähnlichkeit kann an gemeinsamen Ahnen liegen, sie kann auch an zwischenzeitlichen Kreuzungen zwischen den untersuchten Rassen oder zwischen Vorformen dieser Rassen liegen.  Es ist daher auch nicht überraschend, dass bei einer durch eine polnische Forschungsgruppe vorgestellten Studie (Biala u.a. 2015) ein wesentliches Ergebnis war, dass die untersuchten Rassen einer permanenten genetischen Vermischung unterworfen waren.

 

Lexikographische Klassifizierung versus Klassifizierung durch Messung der Ähnlichkeit an mehreren Genorten

Die neu gebildeten Cluster sind kein Ersatz für die Gruppenbildung in der Taubenliebhaberei. Den Englischen Kröpfer (ENP) wird man im Ausstellungswesen trotz seiner Zusammenfassung im Dendrogramm mit dem Stargarder Zitterhals (ZIT) nicht in eine Gruppe stecken (Abb. 11). Historisch entscheidet bei Kröpfern, Trommeltauben, und Tümmlern ein einziges Merkmal über die Gruppenzugehörigkeit. Kröpfer blasen den Kropf auf, Trommeltauben haben eine besondere Lautäußerung. Es sind auch dann noch Kröpfer bzw. Trommeltauben, wenn sie sich in der Größe, den Färbungen, der Körperhaltung und in Federstrukturen (Kappe, Fußbefiederung, etc.) voneinander unterscheiden. Auch bei den früher klassifizierten Riesentauben entschied mit der Größe nur dieses eine Kriterium.

Anders bei der molekulargenetischen Clusterung. Bei dieser wird mit der Festlegung der in die Analyse eingehenden Genbereiche ein mehrdimensionaler Ansatz zur Festlegung eines Clusters gewählt. Für das Trommeln, das Aufblasen des Kropfes oder die Neigung und Fähigkeit zum Hochflug und Tümmeln verantwortliche Gene sorgten bei Frisch allein für die Gruppenzugehörigkeit. Bei der molekulargenetischen Clusterung ist das jeweils nur ein Merkmal unter vielen, das nur indirekt berücksichtigt wird, wenn überhaupt.

 

 

 

 

Die Bedeutung der für die Analyse ausgewählten Individuen

Für die Ergebnisse der Analysen ist wichtig, welche Individuen die jeweiligen Rassen vertreten. Dominante Erbfaktoren lassen sich z.B. innerhalb weniger Generationen von einer Rasse auf eine andere übertragen. Bei rezessiven dauert es etwas länger. Auch Experten der Rasse ist es oft nicht möglich, wenige Generationen nach Kreuzungen Unterschiede zur Ausgangsrasse festzustellen. Individuen einer Rasse können sich in der gemessenen genetischen Distanz daher wesentlich unterscheiden, was auch Pacheco et al. im Supplement zu ihrer Studie aufzeigen. Züchter aus Holland stellten vor einigen Jahren Schwarzflügel-Kupfergimpel (Archangel) vor, in die zur Erlangung von mehr Körpermasse wenige Generationen zuvor Kingtauben eingekreuzt wurden. Auch Experten konnten keine Unterschiede zur reinen Rasse feststellen. Einige Züchter werden die ersten Kreuzungsergebnisse (F1) der Verpaarung eines spitzkappigen Goldweißflügeltäubers der Gimpeltauben mit einer schwarz-getigerten kurzschnäbligen Tümmlertäubin vom Typ für anders gefärbte Gimpeltauben halten. Einige der aus der Rückpaarung eines Weibchens an den Gold-Weißflügel stammenden glattköpfigen und spitzkappigen Gold-Weißflügel waren vom Typ, Schnabellänge und Färbung auch von Experten nur schwer von reinerbigen Tieren zu unterscheiden (Abb. 12).

Blaubunte und Gimpelkreuzungen 2009 007 

Abb. 12: Paarung eines spitzkappigen Goldweißflügels mit einer glattköpfigem schwarz-getigerten Tümmlertäubin mit zwei Jungtieren und rechts davon ein Weibchen der ersten Rückpaarung an den Goldweissflügel beim Verfasser (Quelle: Sell, Genetik der Taubenfärbung, Achim 2015)

Hat sich zunächst nur das Genom bei direkt aus Fremdkreuzungen stammenden Tieren verändert, so werden sich diese Änderungen durch Paarungen mit anderen Beständen über die Jahre auf die ganze Rasse auswirken. Gründe für solche Einkreuzungen können Färbungen, Federstrukturen, Flugvermögen oder allgemein auch Vitalität sein (Sell 2012, 2019). Insbesondere bei seltenen Rassen mit häufigen Zuchtanleihen bei anderen Rassen stellt ein molekulargenetischer Befund daher nur eine Momentaufnahme dar.

Irritationen in der Darstellung von Dendrogrammen

Es gibt verschiedene Algorithmen, die zu unterschiedlichen Dendrogrammen führen und damit beim Betrachter unterschiedliche Eindrücke über das Beziehungsgeflecht zwischen den Rassen erwecken. Einige irritierende Zuordnungen zu Clustern liegen in den vorstehend genannten Gründe, wie auch Pacheco et al. mit Hinweis auf Hintergrundinformationen zu den untersuchten Tieren festgestellt haben. Zuordnungen von Rassen mit großen genetischen Distanzen zueinander deuten auf noch andere methodische Gründe hin. So wie auch die Fälle, in denen von der geringen genetischen Distanz vermutet werden konnte, die Rassen würden sich schnell in einem gemeinsamen Cluster wiederfinden. Wenn sie nicht zusammenkommen, kann es an Drittbeziehungen liegen. Auch die Umgebung der Objekte beeinflusst die Zuordnung. Löschen, oder auch das Hinzufügen von Rassen, kann eine vollständige Reorganisation des Dendrogrammes auslösen.

Schlussbemerkungen

Für Darwin waren die historische Perspektive von Rassen und die Erscheinung von Vorformen (parent stocks) zum Aufzeigen schneller Veränderungen durch Selektion von besonderer Bedeutung. Das konnte er exemplarisch an äußerlich extrem unterschiedlichen Rassen zeigen.

In der Taubenliebhaberei ging und geht es bei der Unterscheidung von Rassegruppen um eine Kurzcharakterisierung, die meist an einem einzigen, einfach zu identifizierenden und für bedeutsam gehaltenen Merkmal festgemacht wurde. Das sind und waren schon bei Frisch 1763 Kropfaufblasen, Trommeln, Tümmeln, Bewarzung, besondere Federstrukturen, etc. Genetische Ähnlichkeiten bei anderen Merkmalen werden als nachrangig betrachtet.

Eine Begründung für die Klassifizierung von Rassen über molekulargenetische Untersuchungen war, dass es bei Tauben im Unterschied zu anderen Haustierarten wenig Berichte über Herkunft und Beziehungen zwischen den Rassen gibt (Pacheco u.a., S. 137), stimmen nicht. Das widerlegt die Studie selbst durch Referenz auf einschlägige Literatur und das zeigen die obigen exemplarischen Hinweise. Ohne Kenntnis der Literatur kann man leicht frische Spuren durch kürzliche Kreuzungen als alte Beziehungen fehlinterpretieren. Umgekehrt wird man alte übersehen, weil sie durch neuere Kreuzungen überschrieben wurden. Die ermittelten molekulargenetischen Analysen sind jeweils eine Momentaufnahme. Die Konstante über die Zeit ist bei einigen Rassen nur der Rassename. Interessant bleiben die Ergebnisse über die genetischen Unterschiede zwischen Rassen dennoch. Auf mittlere Sicht könnte ein Monitoring der Veränderungen von Rassen über die Zeit erfolgen. Und das möglicherweise unter Einbeziehung historischer Präparate.

 

Literatur:

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Biala, A., et al., Genetic Diversity om eight pure breeds and urban form of Domestic Pigeon (columba livia var. domestica) based on seven microsatellite loci Journal of Animal & Plant Sciences, 25(6): 2015, S: 1741-1745.

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Dürigen, B., Geflügelzucht nach ihrem jetzigen rationalen Standpunkt, Berlin 1886, Geflügelzucht, 2. ed., Ber­lin 1906.

Frisch, Johann Leonhard, Vorstellung der Vögel in Deutschlands und beyläuffig auch ei­niger fremden, mit ihren Farben…Die Zehnte Klasse, die Arten der Wilden, Fremden und Zahmen oder Gemeinen Tauben, Berlin 1763.

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Lavalle, A., und Lietze, M. (Hrsg.), Die Taubenrassen, Berlin 1905.

Levi, W.M., The Pigeon, Sumter S.C. 1941, revised 1957, reprinted with numerous changes and additions 1963, reprinted 1969.

Lyell, J.C., Fancy Pigeons, 3rd ed. London 1887.

Mendel, Gregor Versuche über Pflanzen-Hybriden (1865) von Gregor Mendel, Vor­gelegt in den Sitzungen vom 8. Februar und 8. März 1865) Net Version.

Moore, J., Pigeon-House. Being an Introduction to Natural History of Tame Pigeons. Colum­barium: or the pigeon house, Printed for J. Wilford, London 1735.

Neumeister, G., Das Ganze der Taubenzucht, Weimar 1837; Das Ganze der Taubenzucht., 3. Aufl. von Gustav Prütz Weimar 1876. Reprint Verlag Neumann-Neudamm 1988.

Pacheco, G., u.a., Darwin’s Fancy Revised: An Updated Understanding of the Genomic Constitution of Pigeon Breeds, GBE 2020. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7144551/pdf/evaa027.pdf

Sell, Axel, Taubenzucht. Möglichkeiten und Grenzen züchterischer Gestaltung, Achim 2019.

Sell, Axel, Pigeon Genetics. Applied Genetics in the Domestic Pigeon, Achim 2012.

Sell, Axel, Taubenrassen. Entstehung, Herkunft, Verwandtschaften. Faszination Tauben durch die Jahrhunderte, Achim 2009.

Stringham et al., Divergence, Convergence, and the Ancestry of Feral Populations in the Domestic Rock Pigeons, Currently Biology (2012), doi: 10.1016/j.cub.2011.12.045.

Willughby, Francis, Ornithologia, Libres Tres, Londini MDCLXXVI (1676); The Ornithology in Three Books. Translated into English, and enlarged with many Addi­tions throughout the whole work by John Ray, London 1678.