Mehr als 10
Handschwingen bei Tauben
Koen Joris und Axel
Sell
Tauben haben im
Normalfall zehn Handschwingen. Über- und Unterschwingigkeit kommen
vor, wobei bei großen Taubenrassen häufiger mehr als zehn und bei
kleinen Rassen weniger als zehn Schwingen beobachtet werden. Obwohl
die Erscheinung schon zu Darwins Zeiten in der Literatur erwähnt
wird, gab es bis jetzt außer Berichten über sporadische
Erscheinungen dazu keine genetischen Untersuchungen.
In dem offiziellen Organ
RÖK des Rassezuchtverbandes Österreichischer Kleintierzüchter Januar
2017 wird in einer umfangreichen Studie mit etwa 500 Beobachtungen
dieser Frage nachgegangen.
Fotos aus RÖK Freude mit
Kleintierzucht, Januar 2017, S. 8-11.
In dem grundlegenden
Buch 'Pigeons' von Levi wird vermutet, dass es sich um ein
dominantes Merkmal handelt. Wahrscheinlich deshalb, weil aus solchen
Tieren bei den Züchtern neben Normalschwingigen auch einige
Überschwingige gefallen sind. Das könnte bei einem dominanten
Merkmal und Mischerbigkeit des Tieres des Fall sein. Es ist aber
auch das Ergebnis bei rezessiven Merkmalen, wenn in einem Stamm
neben rein- auch mischerbige Tiere für das Merkmal vorhanden sind.
Ein einfaches rezessives Merkmal ist es aber auch nicht, denn es gab
es zu viele Berichte aus den Zuchten, nach denen auch
Überschwingigen miteinander verpaart Normalschwingige nachgezogen
haben. Das konnte bei der Häufigkeit nicht nur auf Fremdbefruchtung
zurückgeführt werden. Überfällig war daher eine mit großen Zahlen
operierende Untersuchung, die auch komplexere Zusammenhänge
aufdecken konnte. Koen Joris aus Belgien hat diese Herausforderung
angenommen. Nach umfangreichen Aufzeichnungen mit mehreren hundert
Beobachtungen in seinem Brieftaubenbestand konnte man schon den
Schluss ziehen, dass die bisherigen Erklärungen unzureichend waren
und zumindest zwei für sich alleine rezessive Erbfaktoren
zuammenwirken mussten, um zur Überschwingigkeit zu gelangen. Die
sich aus den Beobachtungen ergebenden neuen Hypothesen wurden durch
Kreuzungen mit Rassetauben, Goldgimpel Blauflügel getestet. Sie
stammen aus einem bekannten Ausstellungsstamm eines belgischen
Spitzenzüchters, in dem Überschwingigkeit in der Vergangenheit nicht
vorgekommen ist. Die empirischen Daten ergeben statistisch die beste
Übereinstimmung mit einem 3-Faktorenmodell. Drei Faktoren, die hier
mit sn1, sn2 und sn3 (supernumerary) bezeichnet werden, müssen
zusammen wirken. Für sich allein sind sie rezessiv, es genügt aber,
wenn zwei reinerbig vorhanden sind. Damit läßt sich das Auftreten
von Normalschwingigen aus einem Paar Überschwingiger erklären. Für
die Farbgenetiker sind die Kreuzungen ein schönes Lehrbeispiel
dafür, wie sich Gimpelbronze und der für das Gold verantwortliche
Faktor in die Enkelgeneration fortpflanzen.
Fotos aus RÖK, Freude
mit Kleintierzucht, Januar 2017, S. 8-11.
Was bedeutet es für die
Zucht? Wer gerne einen Stamm Überschwingiger besitzen will, der wird
das leicht durch Selektion erreichen können. Dass damit bei
Brieftauben die Flugleistung merklich zu verbessern wäre, ist dabei
eher nicht zu erwarten. Sonst hätte sich das Merkmal bei der Auswahl
nach Leistung in den Brieftaubenbeständen längst durchgesetzt. Der
Ko-Autor hatte in seiner Jugend auch gelegentlich einen
Überschwinger unter seinen Reisetauben, sie waren nicht besser und
nicht schlechter als die anderen und sind wieder ohne Spuren aus dem
Bestand verschwunden.
In Rassen, in denen das
Merkmal unerwünscht ist, sollte man es auf jeden Fall vermeiden,
Überschwingige in der Zucht einzusetzen. Selbst wenn die direkte
Nachzucht das Merkmal nicht zeigt, so werden sie die Anlage dazu
doch an ihre Nachkommen weitergeben, und es wird in späteren
Generationen wieder erscheinen. Wer das Merkmal nur in einigen
Linien hat, die züchterisch entbehrlich sind, der sollte sich nach
Möglichkeit davon trennen. Das bei einfachen rezessiven Merkmalen
empfohlene Ausmerzen des Merkmals durch Test des Bestandes auf
Merkmalsträger, gestaltet sich in diesem Fall viel schwieriger.
Photo eines
11-Schwingers aus der Rückpaarung der 10-schwingigen F1
an eine überschwingige Brieftaube, RÖK Januar 2007, S. 11.
Ein Dank der Autoren
gilt der Österreichischen Verbandszeitschrift, die den umfangreichen
Beitrag einschließlich der Dokumentation der wichtigsten Daten
ermöglicht hat. Das gibt Interessierten die Möglichkeit des
Abgleichs mit eigenen Erfahrungen und der Nutzung der Daten für
eigene weiterführende Untersuchungen.
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