Neuzüchtungen bei Tauben: Sinnige und
weniger sinnige Vorschriften in der Diskussion
Die Vorschriften zu
den Neuzüchtungen in den Allgemeinen Ausstellungsbestimmungen (AAB)
des Bundes Deutscher Rassegeflügel-Züchter (BDRG) werden seit Jahren
kontrovers diskutiert. So auch jüngst nach der Schausaison 2018/2019
und den Bewertungen auf der VDT-Schau in Kassel im Januar 2019.
Darüber wurde auf dieser Homepage, und mit anderer Einschätzung, aus
der Sicht des Bundeszuchtausschusses in der Geflügelzeitung 12/2019
berichtet.
‚Neuzüchtungen‘ als
Überschrift für die Klasse ist eigentlich nicht korrekt. Die
Bestimmungen betreffen auch alte Rassen, die meist im Ausland seit
langem anerkannt sind und oft eine lange Tradition haben. Dass sie
beim erstmaligen Auftreten nicht automatisch anerkannt werden, hat
nachvollziehbare Gründe. So können die Unterschiede zu bereits
anerkannten Rassen zu gering sein und in den Ländern
unterschiedliche Vorstellungen im Hinblick auf tierschutzrelevante
Merkmalsausprägungen bestehen. Warum bei jeder Rasse dann aber noch
jeder Farbenschlag gesondert anerkannt werden muss, lässt sich
rational nicht erklären. Bei den potentiell mehr als 100
Anerkennungskandidaten allein bei den Triganino Modeneser aus
Italien - es werden kaum weniger sein als die Farbenschläge bei den
Deutschen Modenesern – ein volles Programm für den BZA für die
nächsten Jahrzehnte. Eine Unternehmung würde sich über volle
Auftragsbücher freuen. Es kann aber eigentlich nicht die Aufgabe der
Vorschriften für Neuzüchtungen sein, einem Ausschuss langfristig
Beschäftigung zu garantieren.
Abb. 1: Triganino
Modeneser in verschiedenen Farbenschlägen unter den Neuzüchtungen
Kassel 2019
Viele als neu
vorgestellte Farbenschläge, auch bei langjährig in Deutschland
gezüchteten Rassen, sind nicht neu, sondern stehen bisher nur nicht
im Standard. In den Zuchten sind sie oft seit Jahren zu finden.
Einige von ihnen fallen automatisch an, wenn bereits anerkannte
Farbenschläge miteinander verpaart werden. Manchmal ist das schon in
der ersten Generation so, sonst in den Folgegenerationen. Warum sie,
wenn sie mal gezeigt werden sollen, wie blaufahle Römer im Dezember
2018 in Leipzig, erst in einem Neuzüchtungsverfahren ihren
Rassestatus nachweisen sollen, bleibt unerfindlich.
Abb. 2: Römer
Blaufahl m.B. auf der Nationalen Leipzig 2018 und Briver Farbenkopf
blaugemasert in Kassel Januar 2019 in der Klasse der Neuzüchtungen
Vielleicht sind
mangelnde genetische Grundkenntnisse bei denen, die diese
Vorschriften ersonnen haben, der Grund. In den Musterbeschreibungen
von 1951 und 1954 findet man bei der Nennung der Farbenschläge
abschließen den Hinweis u.a., und andere, ohne dass es zum Chaos
geführt hätte.
Ist es schon skurril,
dass Zwischenfarbenschläge ihre Rassezugehörigkeit überhaupt
nachweisen müssen, so ist das Anforderungsprofil mit 370 Punkten bei
vier Tieren ohnehin überzogen. Ein gut (g92-91) wird vergeben, wenn
ein Tier kleine Mängel hat, jedoch keine groben Fehler, eine
Kollektion mit 364 Punkten bietet bei Anwendung des Maßstabes eine
hinreichende Grundlage für züchterische Verbesserungen. Für den
Züchter, für die Ortsvereine und für die Organisation insgesamt wäre
es gut, wenn diese züchterische Arbeit an Rassen und Farbenschlägen
innerhalb der Vereine geleistet werden könnte. Zuchtergebnisse und
–fortschritte würden zum Nutzen und zur Freude aller schon bei Ortsschauen in der allgemeinen Klasse gezeigt und gewürdigt. Züchter
mit ihren züchterischen Aktivitäten aus dem Vereinsleben
auszugrenzen, kann nicht im Interesse einer ohnehin schrumpfenden
Gemeinschaft liegen.
Es ist auch einem
Irrtum entgegen zu treten. Zweck der organisierten
Rassegeflügelzucht ist es nicht, ein bestimmtes Zuchtziel bei
unseren Rassetauben zu erreichen, etwa maximale Größe. An so etwas
scheinen einige allerdings zu glauben, wenn sie schreiben: ‚Lasst
uns erst mal den Ausgangsfarbenschlag perfekt machen, dann kann man
weitersehen‘. Ein ‚Perfekt‘ kann und soll es in der
Rassegeflügelzucht gar nicht geben. Wenn es in einer Rasse nur noch
perfekte Tiere gibt, erübrigt sich der Wettbewerb. Aus der Historie
unserer Rassen wissen wir, wie die Züchter auf ein annähernd
‚perfekt‘ auf breiter Front reagieren. Der Standard oder zumindest
die Standardanforderungen werden verändert. In einigen Rassen
ablesbar an den Anträgen auf größere Bundesringe, leicht abzulesen
auch an Fotos, die die Veränderungen über die Jahrzehnte
dokumentieren. Nicht nur die Tauben entwickeln sich weiter, sondern
auch Standards.
Abb. 3:
Entwicklungen von Taubenrassen über die Zeit: Strasser 1905 und
heute. Quelle: Pigeon Genetics
Abb. 4: Entwicklung
von Taubenrassen über die Zeit, Exhibition Homer 1925, 1955 und
heute (Quelle: Brieftauben und ihre Verwandten)
Abb. 5: Taubenrassen
im Wandel: Stargarder Zitterhälse 1905 und heute. Quelle: Pommersche
Taubenrassen
Die ersten Züchter
der Rassen wären verwundert zu sehen, was aus ihren Tauben geworden
ist, oft würden sie die modernen Vertreter als eine andere Rasse
ansprechen. Nicht überraschend werden auch nostalgisch Vorläufer
heutiger Rassen als ‚neue alte‘ Rassen wieder zum Leben gebracht.
Prominente Beispiele sind Altdeutsche und Altorientalische Mövchen.
Werfen wir einen
Blick auf die Satzung des BDRG. Zweck ist nach § 5 u.a. die
Förderung der Rasse- und Ziergeflügelzucht als wertvolle
Freizeitbeschäftigung. Das trifft sowohl auf eine kreative Befassung
mit der lebenden Kreatur zu als auch auf die Bewahrung alten
Kulturgutes. Förderung ist aber nicht damit vereinbar, dass man
wesentliche züchterische Aktivitäten aus dem Ausstellungswesen
verbannt. Ausstellungen sind auch Orte des Wettbewerbs mit Betonung
auf ‚auch‘. Sie sind darüber hinaus ein Treffpunkt für
Gleichgesinnte, sie dienen der Selbstbestätigung und dem Austausch
von Gedanken über das gemeinsame Hobby. Es werden aus den
verschiedensten Motiven Kollektionen und Einzeltiere gezeigt, bei
denen dem Aussteller von vornherein klar ist, dass es nicht zum
Deutschen Meister langt. Es wäre ein Missverständnis und würde dem
Gedanken der Förderung einer Freizeitbeschäftigung widersprechen,
wenn man Ausstellungen als Schau der Elite betrachten würde, zu der
man nur nahezu perfekte Tiere nach dem jeweils geltenden Standard
erwartet und anderen den Zugang verweigert.
http://www.taubensell.de/die_klasse_der_neuvorstellungen_vdt_2019.htm
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