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Können wir unsere Rassenvielfalt erhalten?

Viele Rassen und Farbenschläge und immer weniger Züchter, wie passt das zusammen? An der Entwicklung der Züchterzahlen kann man nichts ändern. Das Freizeitverhalten hat sich geändert, auch die Wohnverhältnisse. Wer kann schon im Mietblock, Reihenhaus oder selbst in einem freistehenden Einfamilienhaus, mit heute oft knapp 400 qm Grundstückfläche, noch Tauben halten, ohne Probleme mit dem Nachbarn befürchten zu müssen! Neue Krankheiten erzeugen Unsicherheit und tierärztliche Vorschriften werden immer komplexer. Auch aus Kreisen des Tierschutzes bläst der privaten Tierhaltung Wind ins Gesicht, Tierhalter werden nicht als Verbündete im Hinblick auf Wahrung der natürlichen Lebensgrundlagen für Mensch und Tier wahrgenommen. Die Ausdünnung der Zuchten bei den einzelnen Rassen und das Verschwinden einiger von ihnen scheinen unvermeidlich. Selbst dann, wenn man dem Rat einiger folgt, ausländische Rassen und Neuzüchtungen gar nicht mehr zuzulassen. Dass sich Rassen hinreichend voneinander unterscheiden sollen, steht ohnehin schon in den Bedingungen.

Kann man Züchter verpflichten, das zu erhalten, was andere vor ihnen als schön empfunden haben? Viele wollen sich sicherlich züchterisch selber verwirklichen und eigene Ideen verfolgen. Zwingen kann man diese Züchter nicht.

Das Verschwinden von Rassen wird durch die Behauptung einer Parallele zum Aussterben von Arten dramatisiert. Können Rassen tatsächlich nicht wieder erzüchtet werden, wenn sie mal verschwunden sind? Die Parallelen zum Aussterben von Arten ist ein unzulässiger Vergleich. Die ausgestorbene amerikanische Wandertaube wird man nicht wieder zum Leben erwecken können. Die meisten Rassen der Haustauben, die alle durch Mutationen und Auslese aus der Felsentaube entstanden sind und viele Merkmale mit anderen Haustaubenrassen gemeinsam haben, schon. Für den Fall, dass die Blondinetten bei den Orientalischen Mövchen eines Tages einmal aussterben sollten, hat uns der Grieche Caridia im Prachtwerk von Fulton 1876 schon das Rezept für die Erzüchtung aus Satinetten und African Owls hinterlassen. Innerhalb von zwei Jahrzehnten wurden sie auf das Niveau gebracht, das – vielleicht etwas idealisiert – von Ludlow im Buch von Fulton im Bild festgehalten wurde (Abb. 5 unten). Auch wenn eine belatsche Farbentaube mal verschwinden sollte, kann man einer ähnlich gescheckten glattfüßigen Rasse in weniger Generationen die Latschenfülle anzüchten. Mit dem Flugverhalten der Orientalischen Roller mag es anders sein. Die das besondere Flugverhalten ausmachenden Mutationen werden sich nicht leicht wiederholen. Das Flugverhalten generell wird aber nicht durch Rassetaubenzüchter und auf Ausstellungen, sondern durch Flugtaubenfreunde erhalten.

Aussagen, dass mit dem Aussterben einer Taubenrasse alle Eigenschaften unwiederbringlich verloren seien und durch Kreuzungen der Rassecharakter nicht mehr derselbe sei, werden zum Bumerang für die gesamte Rassetaubenzucht und den in einigen Kreisen herrschenden Mythos über das, was wir tun. Der Wettbewerb auf den Ausstellungen ist auf Veränderung angelegt, und diese Veränderungen werden wesentlich durch Kreuzungen mit nachfolgender Selektion erreicht. Altes Kulturgut unverändert bewahren, ist was anderes. Wer das nicht wahrnehmen will und anderes behauptet, belügt sich selbst und andere. Alois Münst hat das im Band 1 des von Erich Müller herausgegebenen Sammelbandes vor Jahren unter dem Stichwort ‚Rassen oder Rassenamen bewahren‘ thematisiert. Man vergleiche z.B. Strasser, Luchstauben, Malteser, Modeneser oder, bei den Tümmlern, Dänische Elstern in Abbildungen vor gut 100 Jahren und heute (Abb. 1-4). Dass,  und mit welchen Fremdrassen diese Änderungen erreicht wurden, ist in der einschlägigen historischen Literatur hinreichend belegt.

 

Abb. 1: Strassertauben bei Lavalle und Lietze, Die Taubenrassen, Berlin 1905, und von heute

 

Abb. 2: Luchstauben bei Lavalle und Lietze, Die Taubenrassen, Berlin 1905, und von heute

 

Abb. 3: Dänische Tümmler Elstern bei Lavalle und Lietze, Die Taubenrassen, Berlin 1905, und von heute

 

Abb. 4: Modeneser, Huhnschecke und Malteser alter Zuchtrichtung bei Dürigen Geflügelzucht 2. Aufl. Berlin1906, und Malteser von heute

Mit etwas Abstand erscheinen die modernen Typen als bisheriges Endergebnis der organisierten Rassetaubenzucht eher wie Neuzüchtungen als wie ein Ergebnis des Bestrebens der Traditionalisten, altes Kulturgut zu bewahren.

Man kann der Literatur auch entnehmen, dass die Züchter über das Jahrhundert hinweg den Umgang mit den Tieren und den Wettbewerb und die Kameradschaft miteinander als eine sinnvolle Freiheitgestaltung erlebt haben. Sie haben dabei auch viele Erkenntnisse über die biologischen Grundlagen gewonnen, diese als Erfahrungsschatz schriftlich hinterlassen und damit einen Beitrag zur Entschlüsselung der genetischen Grundlagen geleistet. Um an eine alte chinesische Weisheit anzuknüpfen: Der Weg ist das Ziel, der Umgang mit den Tieren und die züchterische Gestaltung. Es ist nicht unbedingt das Bewahren des Bestehenden und auch nicht das Ergebnis. Nur ausnahmsweise wird man Zwischenstufe in der Rasseentwicklung real festhalten können. Darin, diese im kollektiven Gedächtnis zu behalten, liegt der Wert der historischen Literatur, in der, wie bei vielen Rassen ‚im Fulton‘, auch die eingeschlagenen Wege und Erfahrungen dokumentiert sind.

 

Abb. 5: Blondinetten aus dem ‚Illustrated Book of Pigeon’ von Robert Fulton 1876; Gesammeltes Wissen in der nationalen und internationalen Literatur

Neue Farbenschläge sind etwas anderes als neue Rassen, wenn beides auch oft zusammengeworfen wird. Für diejenigen, die ein Leben lang nur einen Farbenschlag gezüchtet haben, ist die Kreuzung mit einem anderen ein unkalkulierbares Abenteuer. Sie sollten anderen aber zugestehen, dass sie in der Vielfalt einen besonderen Reiz sehen und ihnen die Zucht nicht verbieten. Von den neuen Farbenschlägen, die so oft problematisiert werden, sind nur einige wirklich neu. So für Deutschland vor einigen Jahrzehnten die Indigofarbenschläge einschließlich Andalusier, danach Reduced, andere mögen folgen. Verhindern können hätte man sie in Deutschland wahrscheinlich nur um den Preis, dass sich außerhalb der organisierten Rassetaubenzucht Genetikgruppen für Raritäten gebildet hätten. Die meisten anderen unter den Neuzüchtungen gezeigten Farbenschläge sind für die Züchter nicht neu, sie tauchen bei Kreuzungen automatisch auf und sind in den Schlägen ohnehin gelegentlich vorhanden. Dunfarbene Weibchen tauchen z.B. schon in der ersten Generation bei der Verpaarung eines gelben Täubers mit einem schwarzen Weibchen auf, und sind sie wirklich so schädlich für die Rasse? Die Frage ist hier nur, wieviel organisatorischer Aufwand in eine Anerkennung von Farbenschlägen gesteckt werden sollte. Muss jeder Indigofarbenschlag, Hohlig, Bindig, Gehämmert und  Dunkelgehämmert, wirklich einzeln anerkannt werden? Das, obwohl jeder genetisch versierter Züchter weiß, dass die anderen Farbenschläge automatisch bei Kreuzungen mit der Blaureihe anfallen, wenn man einen der anderen Farbenschläge hat! Auch der Bundeszuchtausschuss könnte seine Zeit sicher besser nutzen als sie bei der Vorstellung neuer alter Farbenschläge zu verschwenden.

Literatur:

Dürigen, Bruno, Geflügelzucht, 2. Auflage Berlin 1906.

Fulton, Robert, The Illustrated Book of Pigeons, London, Paris, New York and Melbourne 1876.

Lavalle, A., und M. Lietze (Hrsg.), Die Taubenrassen, Berlin 1905.

Münst, Alois, Tradition pflegen – alte Rassen bewahren, in: Erich Müller (Hrsg.), Alles über Rassetauben Band 1, Entwicklung, Haltung, Pflege, Vererbung und Zucht, Oertel+Spörer 2000, S. 368-381.

Sell, Axel, Pigeon Genetics. Applied Genetics in the Domestic Pigeon, Achim 2012.

Sell, Axel, Taubenrassen. Entstehung, Herkunft, Verwandtschaften. Faszination Tauben über die Jahrhunderte, Achim 2009.

Sell, Axel, Taubenzucht. Möglichkeiten und Grenzen züchterischer Gestaltung, Strukturen, Figuren, Verhalten, Zucht und Vererbung in Theorie und Praxis, Achim 2019.