Reflexionen über die Türkische Taube
Reflections on the Turkish Pigeon
In einer Zeit, in der man sich in der Taubenzucht auf
alte Rassen besinnt, ist es überraschend, dass der Mythos um die
Türkische Taube nicht wiederbelebt wird. Bei Willughby wird sie 1676
(S. 181) als Botentaube (Carrier) und bei Cyprian 1712 (S. 1218 f.)
als Taube für das Überbringen von Nachrichten im Türkischen Reich
beschrieben, mit habichtähnlichen Augen, um die Augen einen breiten
knolligen weißen Hautrand. Der Oberschnabel auf halbem Wege zum Kopf
bedeckt mit einer Doppelkruste der gleichen nackten Haut.
Tauben aller Rassen haben ein relativ gutes
Heimkehrvermögen über kürzere Distanzen und so wurden historisch
auch verschiedene Rassen als Botentauben genutzt. Wenn in alter
Literatur über Brieftauben geschrieben wurde, dann war aber meist
die Türkische Taube gemeint. Eine frühe Zeichnung findet man bei
Frisch 1763. Die bei Selby 1835 abgebildete Taube hat sich in
England von der ursprünglichen Beschreibung durch Willughby 1676
durch Auslese auf Ausstellungsmerkmale schon ein Stück entfernt. Als
eigenständige Rasse ausgestorben ist sie auf dem Kontinent wohl
schon vor 1900, wenn sie in einigen anderen Rassen auch fortlebt.
Ein Balg aus dieser Zeit ist im Museum in Braunschweig erhalten.
Abb. 1: Die Türkische Taube (Axel Sell, Brieftauben und ihre
Verwandten, Achim 2014).
Nach England ist sie früh gelangt, wie die
Beschreibung bei Willughby zeigt. Dragoons werden bei Willughby
nicht genannt, sie entsprechen aber der von ihm beschriebenen
Botentaube (Carrier). Auch bei ihnen ist die Schnabelwarze im
Unterschied zum später als Ausstellungstaube entwickelten Englischen
Carrier auf den Oberschnabel begrenzt. Dass Dragoon als Nachfahren
des englischen Zweigs der Türkischen Taube betrachtet werden können,
das kommt durch die Abbildung der Türkischen Taube bei Neumeister
1839 gut zum Ausdruck.
Abb. 2: Türkische Taube bei Neumeister 1837 (aus: Brieftauben und
ihre Verwandten)
Die Nutzung solcher Tauben im Orient als Brieftauben
ist durch historische Berichte belegt, wenn aus diesen Berichten
durch späterer Autoren auch Erzählungen gemacht werden, die im
Hinblick auf die Schnelligkeit der Tauben und die Entfernungen ins
Phantastische gehen. So wird oft nicht gesehen, dass die große
Reichweite der historischen arabischen Taubenpost (Abb. 3 links)
durch eine Aufteilung in kürzere Etappen erreicht wurde.
Alexander
Russell, der zwischen
1740-1772 die Region bis Aleppo bereiste, gab Berichte von
englischen Kaufleuten aus Aleppo wieder, die durch Botentauben über
die Ankunft von Schiffen der Handelsgesellschaften in 'Scandaroon'
informiert wurden, jetzt Iscanderun im Süden der Türkei. Die Tauben
hätten für die Strecke (knapp 100 km) drei oder vier Stunden
gebraucht (Abb. 3 rechts).
Abb. 3: Karte der arabischen Brieftaubenpoststationen
um 1450 (Sell, Brieftauben und ihre Verwandten) und Fluglinie der
Botentauben um 1750 Iskenderun-Aleppo (nach Google-Maps)
Auch wenn die Türkische Taube in Westeuropa früh
bekannt und vorhanden war, so hat sie mit der Entstehungsgeschichte
der Belgischen Brieftaube überraschenderweise wenig zu tun. Die
Belgische Brieftaube wurde zunächst aus Mövchen und Hochfliegern im
Lütticher Raum als Lütticher Brieftaube geschaffen. Solche Tauben
waren schon im 19. Jahrhundert in der Lage, sehr große Entfernungen
zu überwinden. Legendär ist der Flug von Rom nach Lüttich 1868 über
1.080 km, bei dem die Tauben auf dem Heimflug die Alpen überwinden
mussten. Für die Lütticher Züchter war das die Belgische Brieftaube
schlechthin, in anderen Regionen und auch in England nannte man sie
Smerle. Als solche wurde sie schon kurz nach den ersten
spektakulären Flügen nach 1820 in andere Regionen Belgien, das
benachbarte Ausland und auch nach England verkauft, wo sie den
vorher genutzten Dragoon schnell ersetzten.
Abb. 4: Flüge mit Lütticher Tauben von St. Sebastien 1862 und Rom
1868 (Quelle: Sell, Brieftauben und ihre Verwandten). Titelblatt des
Buches mit einem Foto der Siegerin vom Nationalflug Sattledt
(Österreich) 2013 aus der RV Beckum
Andere Taubenrassen und auch die Türkische Tauben
haben etwas später dann doch noch Spuren in der heutigen Belgischen
Brieftaube hinterlassen. Zur Zeit der Entwicklung und Verbreitung
der Lütticher Brieftaube soll die Türkische Taube noch in Brüssel
als Botentaube gedient haben. Diese Tauben werden nicht ganz
verschwunden sein, sondern nach Kreuzungen mit der Lütticher Taube
bei der späteren Verschmelzung der regionalen Stämme in die
Belgische Brieftaube eingeflossen sein. Ähnliches gilt auch für die
Genter Tauben, die noch Kröpferblut führten, sowie für
langschnäblige Bärtchentümmler sowie Kreuzungen mit englischen
Brieftauben. Letztere waren zur damaligen Zeit aber schon weitgehend
Nachzucht der vom Festland bezogenen Brieftauben und nur noch selten
Kreuzungen mit Dragoon. Charakteristische Merkmale aller dieser
Ausgangsrassen treten auch bei Leistungsbrieftauben immer wieder
hervor, wie man selbst auf den Leistungsschauen des Deutschen
Brieftaubenverbandes jedes Jahr sehen kann.
So zeigen einige der Tauben eine stark ausgeprägte
Schnabelwarze und einen ausgeprägten Augenrand, eine Erinnerung an
die hier im Mittelpunkt stehende Türkische Taube. Häufiger findet
man unter den Leistungstauben allerdings Tauben mit feinen und
langgestreckten Schnäbeln, eleganten Figuren und in einigen Fällen
auch Tauben mit Glas- oder Perlaugen als Erbe der Hochflieger. Das
Mövchenerbe zeigt sich bei einigen in kürzeren und runden Köpfen und
kompakteren Figuren sowie der gelegentlich auftretenden Halskrause.
Schließlich wird auch der Kröpfereinfluss erkennbar in der noch
auftretenden Fußbefiederung, die in den 1960er Jahren noch viel
präsenter als heute war.
Abb. 5: Starke Warzenbildung als Erinnerung an die
Türkische Taube und feine, langgestreckte Köpfe als Erinnerung an
die Hochflieger
Abb. 6: Runder und kurzer Kopf mit kürzerem Schnabel
sowie Täubin mit Halskrause als Erbe der Mövchen und Täuber mit
kurzer Bestrümpfung als Erbe der Kröpfer (Fotos von Tauben in der
Leistungsklasse auf der Deutschen Brieftaubenausstellung DBA 2015
und 2016)
Bei viele heutige brieftaubenverwandten Rassetauben
werden jeweils einige der auf die Ahnen hindeutenden Merkmale
betont, so bei der Ungarischen Schautaube die Fußbefiederung (Abb. 7
links) und beim Lütticher Barbet (Abb. 7 rechts) und bei der
Lütticher Schönheitsbrieftaube das Mövchenhafte.
Abb. 7: Ungarische Schautaube und Lütticher Barbet
Die äußerlichen Merkmale scheinen keinen so großen
Einfluß auf die Leistung zu haben, wie manche Standardexperten
vermuten. Es dürfte damit möglich sein, durch Selektion auf kurze
Schnäbel und Jabots das Mövchenhafte auch bei Leistungstauben wieder
zu erzeugen. Auch die Eleganz längerschnäbliger Tümmler, verbunden
mit der Zartheit der Kopfpunkte und Glasauge, findet man in vielen
heutigen Brieftauben wieder und könnte sie durch Selektion pflegen.
Auch das könnte in Richtung der Türkischen Taube geschehen.
Einem Irrtum ist allerdings vorzubeugen. Die starke
Bewarzung, die man bei den Indianern der englischen Zuchtrichtung (barbs)
und dem englischen Ausstellungscarrier sieht (Abb. 8:), hat die
Türkische Taube nicht besessen. Sie ist beim Indianer und Carrier
ein durch Auslese aus dem englischen Zweig der Türkischen Taube über
einen langen Zeitraum gefördertes Schönheitsattribut. Bei einige
heutige Zuchten von Schönheitsbrieftauben läßt sich der Einfluss von
Kreuzungen mit heutigen Indianern englischer und amerikanischer
Zuchtrichtung und Ausstellungscarriern auch kaum verleugnen.
Abb. 8: Indianer amerikanischer Zuchtrichtung (Brieftauben und ihre
Verwandten, Foto Layne Gardner); Abb. 6 und 7: Carrier aus deutscher
Zucht.
Eine ausführliche Diskussion der Entstehung der
Belgischen Brieftaube und der verwandtschaftlichen Beziehungen zu
den Rassetauben sowie Beschreibungen dieser Rassen findet sich im
Buch 'Brieftauben und ihre Verwandten'.
Reflection
on the Turkish Pigeon
Nostalgia is in, also in pigeon breeding. Therefore,
it is surprising that the myth of the Turkish pigeon did not lead to
a revival of this race. Willughby in 1676 and Cyprian in 1712
described the Turkish pigeon as the carrier pigeon of the East, with
hawk-like eyes, eyes compassed about with a broad circle of naked,
tuberous, white furfuraceous skin. The upper chap of the bill was
covered above half of the way from the head with a double crust of
the naked fungous skin. The bill was of a moderate length (Willughby
1676, p. 181).
All pigeons have in some degree a good homing
instinct over short distances and many breeds were used in the past
occasionally as messengers. But when we read the documents from that
time the Turkish Pigeon was the most prominent.
As we learn from Willughby they early reached England. The Dragoon
can be considered
a descendant of the English tribe of the Turkish
Pigeon. Early drawings are found at the writings of Frisch 1763
(Fig. 1) and Neumeister 1837 (Fig. 2). The drawing of the Turkish
Pigeon at Selby at that time still differs from the description by
Willughby. Selection for exhibition purpose following an early
standard has led to heavy wattles, and this one still shows wattles
at the lower mandible that was required at perfect exhibition
carriers. The identity of Dragoons at that time as the followers of
Willughby's carrier and the Turkish Pigeon becomes obvious when we
compare old paintings of Dragoons and the painting of Turkish
Pigeons in Neumeister's book from 1839. At the continent the Turkish
Pigeon got extinct as a breed probably before 1900. A stuffed pigeon
from this period is preserved in the museum in Braunschweig (Fig.
1).
The use of such pigeons in Turkey and the neighboring
countries is well documented by old sources, however, later authors
often overstate the performance in respect to distance and speed. So
often it is overlooked that the famous Arab Pigeon Post from Egypt
to Turkey was flown by different pigeons in shorter stages (Fig. 3).
Alexander Russel who between 1740-1772 visited the region up to
Aleppo reported the experiences of British merchants who got
informed by homing pigeons when a vessel from the trading company
arrived at Scandaroon. That is the today Iscanderun in the South of
Turkey (Fig. 3 at the right). The distance is about 100 km and the
pigeon usually managed the flight in three or four hours.
Due to specific conditions in Belgium about 1800 the
Turkish Pigeon has nothing to do with the original Belgian homers.
They were essentially created from local owls and local long beaked
highfliers in the Liège area that long before 1800 had a tradition
in the region as a messenger over shorter distances. The pigeons
derived from matching both by hard selection in the competition of
many fanciers were capable to manage great distances, e.g. the
famous flight from Rome to Liège in 1868, about 1080 km (Fig. 4).
They became famous as Liège pigeons, or in another designation as
Smerle. Soon after the first spectacular competitions over greater
distances in the 1820s Smerle were sold to other regions and also to
England where they soon replaced the Dragoon.
Other breeds and also the Turkish Pigeon somewhat
later nevertheless also contributed to the Belgian Homer. At Brussel
even after 1800 strains that did go back to the Turkish Pigeons are
told to have served as homing pigeons. These pigeons will not
completely have disappeared but after crosses with the Liege Pigeon
have merged end of the 19th century with the other regional strain
to form the Belgian Homer. Probably also Ghent Pigeons that in part
are traced back to croppers got involved. Later also long beaked
beard tumblers and some crosses with English birds are reported. The
latter at that time still were descendants of imported Smerle and
may be some of them Dragoon-crosses. Some of the typical features of
all these breeds still today appear from time to time also in
excellent homing pigeon as may be seen every year at the exhibition
of the German Racing Homer Association.
Some of them have a broad eye cere and heavy beak
wattles as a reminder at the Turkish Pigeon (Fig. 5 at the left).
More often we see elegant figures and fine heads, many top flyers
with glas or pearl eyes from the highflyer ancestry, pigeons with
more round and shorter heads and beaks as well as the popping out of
the owls' breast frill from time to time (Fig. 6). Sometimes also
the cropper ancestry shows in grouse feet (Fig. 6 at the right), a
characteristic that in the 1960th was even more common. However,
many of the heavy wattled beauty homers that are popular at some
fanciers that do not compete in races are cross-breeds with Barbs
and modern English Show Carriers.
At many today fancy breeds some of the
characteristics of the ancestors of the Belgian Racing Homer are
highlighted. Thus at the shows recently the Liege Barbet and the
Liege Beauty Homer got more attention, and the Hungarian Exhibition
Homer brings back the short muffed variety (Fig. 7). A discussion of
the relationship between the different homer related fancy breeds is
given in a Chapter in 'Pigeons Genetics' and in the German language
monograph 'Brieftauben und ihre Verwandten'.
Sources:
Axel Sell, Brieftauben und ihre Verwandten, Achim
2014
Axel Sell, Pigeon Genetics, Achim 2012.
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