Spurensuche - Satinetten und Blondinetten
Erste Einführung von Satinetten aus Smyrna nach England um 1855
Unbestritten kommen Orientalische Mövchen aus Kleinasien. An der
Einführung nach England war der aus Smyrna (heute Izmir) stammende
Grieche Caridia maßgeblich beteiligt. Nach Lyell (1892) wurden die
Satinetten als erste Variante um 1865 eingeführt. Wahrscheinlich
doch früher, denn Ludlow schreibt in einem Artikel von 1871 von ‚vor
16 Jahren‘, also um 1855. Das stimmt mit Angaben überein, die Machin,
ehemaliger Präsident des englischen ‚Oriental Frill Clubs‘ und mit
Caridia persönlich bekannt, in seiner Monographie von 1919 macht.
Vor 1865 auf jeden Fall, denn im Dezember 1864 berichtet ein Züchter
im Journal of Horticulture and Cottage Gardener, H. Noye, er habe
die Rasse importiert und mit Erfolg die letzten beiden Jahre
ausgestellt. Caridia, der die Rasse im Fulton 1876 ausführlich
vorstellt, nennt kein genaues Datum.
Die Benennungen der Farbenschläge wie Bluetten und Silveretten
stammen von englischen Züchtern, wie auch die Bezeichnungen
Satinette (farbige Schilder und Schwanz auf weißem Grund) und
Blondinette für die beiden Hauptgruppen. Erzüchtet wurden beide
Gruppen im Orient.
Abb. 1: Orientalische Taubenrassen bei Fulton 1876 aus dem Buch
‚Taubenrassen. Entstehung, Herkunft, Verwandtschaften, Achim 2009‘
Erzüchtung der Blondinetten in Kleinasien ab 1850
Aussagen, die Blondinetten hätten keinen orientalischen Ursprung,
sondern seien in England entstanden, sind falsch. Allerdings haben
Satinetten eine längere Vorgeschichte. Blondinetten sind dagegen
erst zu der Zeit, als Caridia noch in seiner Heimat lebte, erzüchtet
worden. Nach Angaben bei Wright (1879, S. 177) um 1850.
Zu der Entstehung der Blondinetten (Abb. 1 links) macht Caridia im
‚Fulton‘ konkrete Angaben (Fulton 1876, S. 313). Vor etwa 24 Jahren,
zurückgerechnet 1852, entwickelte einer der maßgebenden
orientalischen Züchter den Gedanken, möglichst jede vorhandene
Variante der Mövchen mit der kurzen Belatschung (grouse-muffs) der
Satinetten zu züchten. Der Anfang war eine Verpaarung eines
blaufahlen (silver) Mövchens, wahrscheinlich ein Weibchen, mit einer
Satinette. Gezogen wurde daraus ein blauer Mövchen-Täuber mit
teilweise befiederten Füßen. Dieses Tier, zurückgepaart an eine
Satinetten-Täubin, ergab die erste Blondinette. Caridia gelang es
sogar, diese zu bekommen. Er konnte dazu noch eine auf ähnliche
Weise gewonnene Täubin von einem türkischen Züchter erhalten.
Gelegenheit, selbst daraus zu ziehen, hatte er nicht mehr, da er
unmittelbar danach in die USA reiste. Der Stamm wurde aber von einem
Priester, sein Gewährsmann über die Historie der Satinetten, in der
Heimat weiter gepflegt und entwickelt. Wenn die Angabe bei Levi
(1969) stimmt, dass Caridia seinen Beitrag zum Fulton bereits 1874
geschrieben hat, ist man zurückgerechnet bei den Angaben von Wright
mit 1850 als erster Schritt zur Schaffung der Blondinetten.
Abb. 2: Orientalische Mövchen Satinette, kurz nach der Einführung in
England, und Blondinette dun-gesäumt bei Machin 1919. Quellen:
Journal of Horticulture and Cottage Gardener, September 1871, Machin
1919
Einführung der Blondinetten in England aus Kleinasien um 1870
Bei Machin liest sich die Geschichte der Erzüchtung der Bondinetten
wie folgt: Die Satinetten waren konstant durchgezüchtet (firmly
fixed), so dass die Orientalischen Züchter ihr Augenmerk auf andere
Varianten der Familie richteten. Mit dem Ergebnis, dass man in
England 15 Jahre nach Einführung der Satinetten die ‚charming‘
Blondinetten einführen konnte. Wenn man Ludlow mit der genannten
Einführung der Satinetten um 1855 folgt, dann war das 1870. Das
scheint plausibel, denn schon 1872 wurde eine Blondinette im
‚Journal of Horticulture and Cottage Gardener‘ in einem Bericht über
eine Schau in ‚Sedgefield‘ als Preisträger genannt. Auch in dem
Report von 1871 mit dem anmutigen Bild einer Satinette werden
Blondinetten als Variante kurz erwähnt. Fotos früher Satinetten und
Blondinetten finden sich in der Monographie von Machin (siehe auch
Abb. 2 rechts).
Abb.
3: Moderne Satinetten (links und Mitte) und Altorientalisches
Mövchen Satinette (rechts).
Quelle: Sell, Pigeon Genetics. Applied Genetics in the Domestic
Pigeon, Achim 2012
Abb. 4: Altorientalische Mövchen. Quelle: Sell, Taubenzucht.
Möglichkeiten und Grenzen züchterischer Gestaltung, Achim 2019
Zurück zu den Wurzeln: Orientalische und Altorientalische Mövchen
Ein Blick auf die Bilder von früher (Abb. 1 und 2) und heute (Abb. 3
und 4) zeigt, dass die heutigen Altorientalischen Mövchen vom
Erscheinungsbild her ihren Namen nicht zu Unrecht tragen. Für
denjenigen, der sich mit den Entwicklungslinien von Rassen befasst,
dürfte ein Blick in die historische Literatur nützlich sein. Einen
chronologischen Überblick über die wesentlichen Quellen gibt für
deutschsprachige Leser das Buch ‚Taubenrassen‘, in dem man verfolgen
kann, wann Rassen erstmalig in der Literatur auftauchen und wie sie
beschrieben wurden. Zu leicht werden dahingeworfene Einschätzungen
von anderen als belegte Wahrheiten genommen.
Literatur:
Assmus, W., und W. Hegemann (Hrsg.), Mövchentauben international,
Reutlingen 1979.
Fulton, R., The Illustrated Book of Pigeons. London, Paris, New York
and Melbourne 1876.
Levi, W., The Pigeon, Sumter S.C., reprinted 1969.
Ludlow, J.W., The Satinette, Journal of Horticulture and Cottage
Gardener, September 1871
Lyell, James C., Pigeon-Keeping for Amateurs, London 1892.
Machin, F., Gems of the Orient, Birmingham 1919.
Sell, Axel, Pigeon Genetics. Applied Genetics in the Domestic
Pigeon, Achim 2012.
Sell, Axel, Taubenrassen, Entstehung, Herkunft, Verwandtschaften.
Faszination Tauben über die Jahrhunderte, Achim 2009.
Sell, Axel, Taubenzucht. Möglichkeiten und Grenzen züchterischer
Gestaltung, Achim 2019.
Wright, Lewis, Practical Pigeon Keeper, London, Paris & Melbourne
(1879).
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